Monthly Archives: September 2013

Unser täglich Peng

In unserem Dorf gibt es keine Bäckerei. Dem Franzosen im Allgemeinen und meinem im Besonderen ist jedoch sein täglich Brot heilig; ja, er lebt in permanenter Sorge, es könne zuwenig pain im Haus sein (das wird im Süden übrigens wie “peng” ausgesprochen. Und auch die anderen total affektierten Nasal-Laute des Französischen erleben hier eine wunderbare Wandlung, sie klingen plötzlich erdig und ehrlich: romarin, Rosmarin, wird zu “romareng”; matin, der Morgen, ist “mateng”. Ich finde das très “bjeng”)

Aber zurück zur Bäckerei! Es gibt, wie gesagt, keine. Dafür aber eine Bäckerin. Sie heißt Emmanuelle und wohnt links hinter der Kirche St. Sébastien in einem Ein-Zimmer-Holzhaus. Dort wohnen auch noch ihr Mann Cédric, ihre beiden Söhne, vier greise Hunde (allesamt Pflegefälle, die Emmanuelle von der Straße aufgelesen hat) und unzählbare Katzen und Kätzchen mit gesprenkeltem, geflecktem, buntem und einfarbigem Fell.

Montags und dienstags backt Emmanuelle in einem Schuppen neben dem Haus. In ihrem dunklen Haar steckt ein Bleistift, um die Bestellungen zu notieren; sie selbst steckt bis zu den Ellenbogen in einem sarggroßen Holztrog und knetet an zwei Tagen etwa 100 Kilo Teig – von Hand! Das Mehl ist bio und kommt aus einer solarbetriebenen Mühle. Der Ofen wird mit Holz geheizt; die Nische dahinter ist im Winter der Lieblingsplatz der zittrigen Hunde-Opas, erzählt Emmanuelle.  Eigentlich dürfe ja kein Tier in die Backstube, aber… Das Herz der Bäckerin scheint mir so groß und weich wie ein Hefezopf, so dass sie sicher mal ein Auge zudrückt.

Emmanuelle backt Brote à 500 Gramm, 800 Gramm und ein Kilo, mit oder ohne Körnermischung, mit oder ohne Rosinen. Am Abend langt sie dann mit einem Holzspaten in die glutheiße Trommel des Ofens, klopft, dreht und wendet ihr Backwerk und erfüllt Sonderwünsche nach sehr blonden, blonden und dunkel gebackenen Laiben. Zwischen 17.30 Uhr und 20.30 Uhr kommt dann das halbe Dorf angeschlendert und kauft die Wochenration “peng”. Emmanuelle verdient damit nicht viel, sie macht etwa 60 Euro Gewinn pro Woche wenn es gut läuft. Aber das findet sie auch nicht so wichtig. Sie mag das Gefühl von frischem Teig an ihren Händen, den würzigen Duft, der aus dem Ofen kriecht und das Geräusch, wenn sie prüfend auf die warme Brotkruste klopft. Ist es gar…? Wird es schmecken…?

Es schmeckt. Sehr. Wir waren heute bei Emmanuelle, nächste Woche wieder.FRT_5790FRT_5797

 

Patou der Fürchterliche

Der beste Käse hier heißt Brebis (sprich: bröh-bieh) und kommt vom Schaf. Leider hat er einen Haken, oder besser: Schwanz und Schnauze. Denn die Schafherden werden auf den Almen der Pyrenäen von Hütehunden bewacht, so genannten Patous. Die sehen aus der Ferne sehr hübsch aus – cremefarbener Flausch mit Schlappohren. Patous schützen die Schafe vor Wölfen und Bären, die es in der Region reichlich gibt (Wölfe) und weniger reichlich (17 Bären hat die Lokalverwaltung gezählt). Auge in Auge mit so einem kälbergroßen Vieh versteht man sofort, dass sie den Job äußerst wirkungsvoll machen. Der Patou zeigt sein Gebiss, brüllt autoritär und macht deutlich, dass man SOFORT sein Feld zu räumen habe. Ich kann sowieso schlecht mit Hunden, aber bei diesen Exemplaren wünsche ich, dass sofort ein Helikopter kommt und mich von der Wiese angelt.

Da es auch bei uns in der Nachbarschaft viele große, freche, furchterregende Hunde gibt, die aus jeder zweiten Toreinfahrt schießen (keine Patous, aber nur geringfügig weniger schreckliche), hatte ich mich vor der Reise bei zwei Hundekennerinnen informiert. Ich will ja schließlich nicht ständig zitternd herumlaufen und auch irgendwann wieder joggen, wenn Bébé gestattet. Was also tun, wenn der Hund kommt? M. riet mir, dem Tier tief in die Augen zu schauen und mit lauter, ruhiger Stimme klar zu machen, dass er nicht der Boss ist. Zur Not mit einem Stock drohen, mit Steinen werfen oder Pfefferspray auf den Hund sprühen (“Kriegst du an jeder Ecke auf der Reeperbahn”, sagte die verwegene M.) Ich sah mich schon amazonenhaft im Zweikampf mit der Bestie.

C. hingegen, kompetente Hundeflüsterin und Landfrau, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: Auf keinen Fall in die Augen sehen, das versteht der Hund als Kampfansage und macht alles nur noch schlimmer. Besser den Blick senken, leise sein. Und der beste Rat: keine Angst haben! Jaaa, liebe C., das ist ja wirklich ganz leicht!

Zumindest was den Patou angeht, hat die Lokalverwaltung für Hundephobiker wie mich einen lustigen Comic mit Verhaltensregeln gestaltet: Abstand halten, nicht schreien, nicht rennen, nicht streicheln (auf die Idee käme man auch nicht). Auf keinen Fall zwischen den Patou und seine Schafe geraten. Das Imponiergehabe ignorieren und langsam weitergehen. Dann lässt der Patou den Wanderer in Ruhe, ganz bestimmt. Bäh, oui!


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Der Bulle von nebenan

Ich erwähnte es bereits: Unser Garten wird von einer niedrigen Mauer begrenzt, dahinter kreuzt der Wanderweg, dann spannt sich ein fadendünner Elektrodraht und dort beginnt die Wiese von Nachbars Kühen. Es grasen samtäugige Rinderdamen in Farbschattierungen zwischen Café Crème und Haselnuss; sie wiegen sich gemütlich in den Hüften. Plus ein rotbraunes Kälbchen. Plus ein bulliger Bulle mit Quadratschädel. Mais oui, hier werden Kühe noch auf natürlich Art geschwängert! In Gottes freier Natur und mit Ausblick! Unser toro hat sieben Frauen, für jeden Tag der Woche eine. Mit solchen Haremsbesitzern ist nicht zu spaßen. Er kommt ganz nah an den Zaun heran, um uns in Augenschein zu nehmen. Zwischen uns liegen etwa anderthalb Meter Bergluft, Duftnote „Wiese“, und das elektrische Fädchen des Zauns. Der Bulle pendelt mit den Ohren, scharrt ein bisschen mit dem Huf. Ist das nicht die Angriffspose der Rindviecher, frage ich mich. Kennt man doch vom Stierkampf und Spanien ist ja nur eine Bergkette entfernt. Ich sehe uns schon aufgespießt, platt getrampelt, Bébé verwaist. Schlagzeile in der Lokalzeitung: Tragischer Unfall auf idyllischer Alm. Dann entspannt sich das Vieh. Fast hört man ihn schnauzen: „Papiere bitte! Aha, Ausländer.“ Ein Huftritt, als würde ein Stempel knallen. Wir sind fürs Erste geduldet.

Stunden später kommt das Kälbchen an den Zaun geschlendert und lutscht am Draht herum. Er ist mitnichten elektrisch!

Toro und seine HodenToro et sa femmeToro von vorn

Das Glück in Tüten

Mittwochs und samstags ist Markt in Aspet, einem Bergdorf in der Nachbarschaft. Die Luft ist kühl, die Sonne knallt und lässt die pastellfarbenen Fassaden der alten Fachwerkhäuser leuchten. Wir kaufen zu viel von allem und am Ende noch Käse von der Kuh, von der Ziege und vom Schaf in großen Stücken. Die Käsefrau verpackt alles so, als hätten wir bei Chanel eingekauft: zuerst in dickes Papier, dann noch mal in dünnes, dann kommt alles in eine schicke Tüte. Fehlt nur noch die Schleife. Wir trinken einen Espresso im Café am Marktplatz, es heißt „Café Français“ (wie sonst) und fühlen uns wie die Könige.

das Stück in Tüten

Aspet Markt

Zahme Eidechsen und goldene Schuhe

Die Frage des Tages lautet: Sind Eidechsen zähmbar? Wir versuchen es beim Frühstück zuerst mit Brotkrümeln (finden sie mäßig attraktiv), dann mit Banane (schon interessanter) und schließlich mit Pfirsich. Oh ja, den mögen sie! Wenn man ganz leise ist, hört man sie schmatzen. Am Ende des Sommers fressen sie uns bestimmt aus der Hand…

Heute ziehen wir so richtig ein, packen Kartons aus, bauen Bébés Bett auf und nisten uns im schönsten der vielen Zimmer zum Schlafen ein. Diskret schiebe ich ein paar Schuhkartons ganz nach hinten unter die Treppe, damit Monsieur sie nicht sieht. Was habe ich mir dabei gedacht, meine goldenen Hochzeitspumps mit auf den Berg zu nehmen?!

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Bonjour, la France!

Wir sind da. Unsere Hausbesitzer haben uns gestern Abend in Empfang genommen, unsere Betten gemacht und uns auf der Terrasse mit Quiche lorraine gefüttert. Heute früh sind sie mitsamt ihrem kleinen Enkel abgereist. Wir hören das Auto noch, als es um die Schlossruine biegt, die am Hang vor sich hin bröselt. Dann ist es plötzlich still. Nachbars’ Kühe rupfen leise das Gras aus, gelegentlich saust eine Biene vorbei. Wir sind allein, wir drei. Und auf einmal keine Gäste mehr. Das Haus gehört uns, jedenfalls für die kommenden vier Jahreszeiten.

Ich nehme Bébé auf den Arm und wir schreiten wie die Großgrundbesitzer unser Terrain ab, einmal ums Haus herum: Los geht’s bei der Palme an der Auffahrt, dann kommen zwei dicke Eichen; beim Feigenbaum biegen wir ab, am Küchenkräuterbeet vorbei zum „Panorama“ – drei halbrund gemauerte Treppen aus Bruchstein, von denen aus man einen Rundumblick auf das Dorf und die Berg-Skyline hat. Ist das ein Platz für den abendlichen Apéritif, oder was?! Dann geht es hügelaufwärts zu den Apfelbäumen, ganz am Rand liegt der Komposthaufen. Ein paar Meter stapfen wir weiter parallel zum Wanderweg, der direkt an der Terrasse vorbei führt. Noch eine Eiche, eine Bruchsteinmauer und wir stehen vor der Küchentür. Kommt rein und sagt doch „du“ zu mir, sagt das Haus.

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On y va!

Wir wollen die knapp 2000 Kilometer von Hamburg in die Pyrenäen in zwei Tagen zurücklegen. Bébé hat Liegewagen gebucht (ja, es gibt eine horizontale Alternative zum Maxi Cosi! Sie macht aus unserem früher sitzend transportierten Giftzwerg einen freundlich schlummernden Mini-Passagier).

Pause an der Autobahn…

Pause Autobahn

Nach neun Stunden Autofahrt halten wir in Noyon westlich von Paris. Das Hotel ist Durchschnitt, aber man serviert uns Spätankömmlingen noch gegen Mitternacht ein echt französisches Dîner. So was gehört in Frankreich zu den Grundrechten. Es werden zwei Tabletts ins Zimmer gerollt, das silberne Plastik-Besteck sieht täuschend echt aus. Wir speisen Lachstartar mit Schnittlauch und Frischkäse, gebratenen Kabeljau mit Kartoffelgratin und Morchelsosse, ein großes Stück Weichkäse. Das Dessert ist ein fluffiger Kokos-Kuchen. Ach, Frankreich! Beim Essen macht dir niemand was vor.

Doktor Hausfrau

Südlich der Loire verändern sich die Farben. Der Himmel sieht aus wie frisch gewaschen, die Häuser tragen plötzlich Roll- und Fensterläden gegen die Hitze. Die Landschaft faltet sich mehr und mehr auf. Links und rechts der Autobahn wächst Wein. Je hügeliger es wird, desto breiter grinst Monsieur. Als Toulouse hinter uns liegt und sich die blau schimmernden Bergketten der Pyrenäen ins Bild schieben, legt er innerlich die Füße hoch und schmaucht ein Festtagszigarettchen. Er eignet sich nicht zur Drinnenhaltung auf 52 Quadratmetern, schon gar nicht in der Großstadt, schon gar nicht in einer Großstadt in der norddeutschen Tiefebene.

Die Wanderungen und tagelangen Expeditionen, die er geplant hat, würden für ein ganzes Leben reichen. Ob ich ihn überhaupt sehen werde während unseres Jahres in Frankreich? Diese kleine Sorge reist mit: Dass ich allein mit Bébé in wunderbarer Idylle total vereinsame. Ich bin ein Stadtkind; Cafés, Läden und Leute halten meine Gedanken frisch und bringen mich auf neue Ideen. Landleben kann ich nicht. Ob ich es lerne?

Dazu eine Begebenheit kurz vor unserer Abreise: Ein Marktforschungsinstitut rief an und befragte mich zu einem Hamburger Stadtentwicklungsthema. Am Ende wollte die Dame in der Leitung noch ein paar persönliche Infos über uns einholen. Was denn der höchste Bildungsgrad im Haushalt sei? Ein Doktorhut, sagte ich. Sie ging automatisch davon aus, dass mein Mann ihn trüge und fragte weiter: Und Sie? Ich wollte zu einer längeren Erklärung ausholen, also, ich habe gerade ein Kind bekommen, arbeite nächstes Jahr wieder und hab immer Vollzeit und – sie unterbrach mich: Aha, dann kreuze ich „Hausfrau“ an. Da musste ich kurz schlucken. Hausfrau. Aber sie hat ja Recht! Ich bin jetzt Hausfrau. Hausfrau in Frankreich. Mon dieu.