Monthly Archives: May 2014

Frankreich ist keine Insel

Mein Mann steckt derzeit in den weit verzweigten Kalksandsteinhöhlen nahe Bordeaux. Das kann Wochen dauern. So weit, so normal.

Ich bin mir angesichts des Wahlerfolgs der Rechtsextremen in Frankreich allerdings nicht sicher, ob er diesmal nicht deutlich länger da unten bleibt. Denn Monsieur möchte vor Scham buchstäblich im Boden versinken, weil 25 Prozent seiner Landsleute bei der Europa-Wahl Marine le Pens giftigen Köder geschluckt haben, der nach einem endlich-wieder-stolzen Frankreich schmeckt, für die Franzosen, von den Franzosen. Täätää! Ohne Brüssel, ohne Ausländer und ohne den Pariser Filz aus Politik, Geld und Medien.

Bei uns im Dorf haben die meisten Leute für die Sozialisten oder die Grünen gestimmt (die Gegend ist eine alteingesessene Hippie-Hochburg), aber dennoch 22 Prozent für den Front National. Dabei haben die meisten hier noch nie einen Ausländer gesehen (außer mir und Bébé, aber der zählt nicht, weil er ja nur ein halber Ausländer ist). Es will mir einfach nicht in den Kopf, was diese Leute sich denken. Was soll der Mist: Wollt ihr ernsthaft wieder euren Pass zeigen, wenn ihr die dreißig Kilometer rüber nach Spanien zum Skifahren oder Sonnenbaden fahrt? Und wieder den Franc einführen, der das Land mit noch mehr Karacho in die Rezession sausen lassen wird als das ohnehin der Fall ist? Und was wird le Pens Rassismus wohl gegen die Arbeitslosigkeit ausrichten, hm?!

Monsieur wird nicht müde zu erklären, dass solche Überlegungen für FN-Wähler keine Rolle spielen. Entscheidend sei ihr Gefühl, all das NICHT zu wollen, was derzeit im Land passiert. Nein zur Homo-Ehe, nein zum Wahlrecht für EU-Bürger, nein zu Immigranten, nein zu Moscheen, nein zur politischen Klasse (nein zu schlechtem Wetter, zu verfaultem Camembert, zu Schwiegermutterbesuch…)

Der FN-Wähler fühlt sich von Globalisierung, konkurrierenden Märkten, Bildungs- und Technologiewettkampf überfordert. Dabei hatte er doch damals im Geographie-Unterricht gelernt, dass Frankreich eine Insel sei und von solchen Unannehmlichkeiten für immer und ewig verschont bliebe. Und jetzt auch noch diese galoppierende Anglisierung! Ze wörld spieks Inglish. Was für eine Kränkung. Da kann man ja nur wütend los kreischen: Non, non, non!

Ganz ähnlich reagiert übrigens Bébé, wenn er überdreht und übermüdet ist und ihm die Welt plötzlich allzu groß und bedrohlich erscheint. Bietet man ihm in dieser Stimmung sein Abendessen an, passiert folgendes: Nudeln? Paff, fliegen auf den Boden. Gekochte Möhrchen? Bäh, will ich nicht! Vollkornbrot, selbst gebacken. Apfel-Mango-Püree. Lecker Gurke. Kopfschütteln, wütendes Gekreisch. Nein! Will ich nicht, will ich nicht, will ich nicht.

Der Vorteil an Bébé wiederum ist, dass man ihn einfach ins Bett stecken kann, wo er sogleich den (linken!) Daumen in den Mund steckt, zufrieden nuckelnd einschläft und am nächsten Morgen als lupenreiner Demokrat erwacht. Neugierig, aufgeschlossen, tatkräftig und überaus lernwillig.

Wie sich diese Vorgehensweise auf den Front National übertragen ließe, ist mir noch nicht klar. Konstruktive Vorschläge sind willkommen, möglicherweise würden sie auch meinen Ehemann dazu bewegen, wieder ans Tageslicht (und zu mir) zurückzukehren. Herzlichen Dank.

Tschüss, Uroma!

Meine Uroma ist gestorben. Sie war die Mama von der Mama von Papa und sehr alt, nämlich 91 Jahre und damit 90 Jahre älter als ich.

Nicht dass ihr euch wundert: Dies ist ja eigentlich Mamas Blog, aber Mama fühlt sich gerade nicht nach Schreiben, weil wir eine lange Reise hinter uns haben (wir waren zwei Tage weg und saßen davon mehr als die Hälfte im Auto). Deshalb nehme ich die Sache in die Hand und erzähle euch davon. Ihr ahnt, wer hier spricht: Ich bin’s – Bébé.

Also. Meine Uroma ist in ihrer Küche hingefallen und hat sich einen Knochen gebrochen, der Oberschenkelhalsknochen heißt (lustig, dass auch der Oberschenkel einen Hals hat). Im Krankenhaus haben die Ärzte die Köpfe geschüttelt und gesagt, den Knochen könnten sie flicken, aber der Rest von Uroma sei zu zerbrechlich, um die Oberschenkelhalsknochenreparatur zu überstehen. Dann lasst doch den Quatsch mit der Reparatur, habe ich gesagt, aber die Großen verstehen ja immer nur gaga und dada und hören mir nicht richtig zu.

Die Operation ist gelungen, weil meine Uroma ein großes, starkes Herz hat. Sie war schon mit einem Bein aus dem Krankenhaus raus (mit welchem Bein, ob mit dem gesunden oder dem geflickten, weiß ich nicht). Letzten Samstag hat sie groß gefrühstückt (das machen Franzosen normalerweise nicht, also war das vielleicht schon ein schlechtes Zeichen) und dann hat sie ein Schläfchen gemacht, so gegen 11 Uhr (genau wie ich immer), und das Schläfchen hat gedauert und gedauert und dann war sie tot. So was kann alten Leuten passieren. 

Dann sind wir ewig Auto gefahren (9 Stunden, hat Mama gesagt), denn Frankreich ist groß und meine Uroma wohnte am anderen Ende, nämlich in der Normandie. Ich habe einen neuen Autositz (cooles Teil, schon für große Kinder), aber nach einer Weile fand ich es nicht mehr so cool, da drin zu sitzen. Mama reichte mir immer andere Spielsachen, die habe ich vor Wut durchs Auto geworfen. Kann man das Reisen nicht komfortabler gestalten?!

Dann sind wir in dem Dorf von Uroma angekommen. Sie hat ein Haus, das selbst mir winzig vorkam. Auf den Tapeten waren Blumen, die wie echt aussahen. Das Häuschen war voller schwarz angezogener Leute, ich war der Einzige in bunt (und noch ein paar andere Kinder). Dann fuhr ein schwarzes Auto vor, hinten lag eine Holzkiste drin, und da wiederum, hat Papa mir erklärt, war Uroma drin (wieso liegt sie in einer Kiste? Warum lassen sie nicht wenigstens den Deckel offen, damit sie den Himmel sehen kann?)

Wir sind hinter dem Auto her zur Kirche gelaufen und als es anfing zu regnen, habe ich verstanden, warum der Deckel von der Kiste zu ist! Klar, damit Uroma nicht nass wird. Die Kirche war ziemlich voll, weil Uroma das ganze Dorf kannte und in vielen Vereinen war, zum Beispiel im Verein für Flüchtlinge, die aus ihren eigenen Ländern weg mussten und in Uromas Dorf untergekommen sind. Sie selbst ist in dem Dorf geboren und nie weggegangen, sie war eine Müllerstochter (wie im Märchen). Später hat sie einen Bauern geheiratet und ihr Leben als Bäuerin war nicht mehr ganz so wie im Märchen.

Papa und seine zwei Brüder haben die Holzkiste in die Kirche getragen. Weil die Kiste vier Griffe hat, fasste mein großer Cousin Victor mit an. So sind sie durch den Regen gelaufen und nass geworden, aber das hat sie gar nicht gestört. Papa sah dabei ganz traurig aus und die Tropfen in seinem Gesicht kamen bestimmt nicht nur vom Regen. In der Kirche saßen wir in der ersten Reihe und vorn stand ein Mann im langen weißen Kleid. Der sah so lustig aus, dass ich vor Freude geklatscht habe! Es wurde viel Musik gespielt, was ich auch super fand. Mein Onkel Greg hat Geige gespielt und ein Chor hat gesungen und dann kam aus dem CD-Player noch ein Lied, das Halleluja heißt, es ist von Leonard Cohen, gesungen von Jeff Buckley (mein Onkel Jule ist Musiker und weiß solche Sachen). Ich habe laut mitgesungen: Haaa-leee-luuu-jaa! Ein schönes Lied.

Ich wäre sehr gerne die Stufen zu dem Mann im weißen Kleid herauf geklettert und hätte im Vorbeikrabbeln ein paar Blumen für Uroma gepflückt, es standen ja genug herum, aber Mama hat mich festgehalten und als ich protestieren wollte, durfte ich mit ihrem Telefon spielen und danach mit dem Autoschlüssel. Okay, dachte ich, auch gut. (Hinterher haben alle gesagt, ich sei sehr sage gewesen, das heißt brav auf französisch und in Frankreich scheint es die wichtigste Eigenschaft von Kindern zu sein, den Erwachsenen nicht auf den Wecker zu gehen. Dabei war ich gar nicht brav, sondern einfach sehr beschäftigt).

Am Schluss sind alle einmal um die Holzkiste herumgegangen. Vorn stand ein schwarz-weißes Foto von Uroma (wieso schwarz-weiß? Sie war doch farbig, meine Uroma, vor allem ihre Strickjacken). Ich war auf Mamas Arm und als wir an dem Foto vorbei kamen, hat sie gesagt, ich soll mal winken. Au revoir, Uroma! Hab ich gemacht und als Papa das sah, musste er schon wieder heulen.

Dann sind wir zum Friedhof gelaufen und ich vermute, dass unter den großen Steinen noch andere Holzkisten mit toten Uromas und -opas und was weiß ich für Leuten drin lagen. Unsere Kiste kam in ein Loch und da standen meine Oma und ihre Schwestern davor und haben weiße Rosen rein geworfen. Was dann passierte, kann ich nicht sagen, denn Mama war der Meinung, das ich schlafen soll und hat die Lehne vom Buggy zurückgeklappt. Da ich im Buggy angeschnallt bin, klappe ich automatisch mit um und kann nichts mehr sehen. Dabei wollte ich gar nicht schlafen, sondern in das Loch gucken! Ich muss dann aber doch eingeschlafen sein, denn auf einmal standen Mama und ich allein auf dem Friedhof. Sie hat gewartet, bis die anderen weg waren, weil sie ein bisschen allein sein wollte mit mir und Uroma. Ein Gärtner hat uns geholfen, die vielen Briefe einzusammeln, die an den Blumensträußen hingen. Die wären sonst im Regen aufgeweicht (waren das Briefe an Uroma? Liest sie die nachts, wenn sie rauskommt wie die Maulwürfe und Füchse bei uns im Garten?)

Dann waren wir wieder im Haus von Uroma und es war so voll, dass einige Leute auf der Straße standen. Ich durfte Brioche essen (das darf ich sonst nicht, weil da Zucker drin ist und wenn Mama Zucker hört, wedelt sie aufgeregt mit den Händen, als würde sie eine Wespe verscheuchen. Sie ist manchmal komisch, meine Mama). Ich habe schleunigst ein Riesenstück in den Mund gesteckt (wer weiß, wann ich je wieder Brioche kriege?) und den Rest auf den Boden gekrümelt und die Krümel dann möglichst weit verteilt, damit meine Uroma weiß, dass ich da war. Da die Großen ja immer sofort alles auffegen müssen, habe ich zur Sicherheit noch ein paar Krümel unter den Schrank geschoben. Meine Uroma wird das schon verstehen. Guck mal, die sind für dich, meine Liebe! Haaa-lee-luu-jaa! Tschüss.

Dein Bébé.

P.S. Guckt mal, ich hab noch Fotos von mir und Uroma gefunden. Papa hat sie letztes Jahr gemacht, als ich noch voll das Baby war. Irre lange her. Aber Uromas verändern sich nicht so schnell wie Babys (weiß auch nicht, warum), ihr bekommt also einen Eindruck.

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Star Wars

Gespräch mit R., acht Jahre alt, Sohn meines Mannes aus einem früheren Leben und gerade bei uns in den Ferien. Er liebt Lego und die kriegerische Science-Fiction-Welt von Star Wars. Beides kombiniert er, indem er mit Hingabe und Präzision extraterrestrische Schlachtfelder auf unserer Terrasse errichtet.

R.: Guck mal, Helen, ich hab hier eine Barrikade gebaut. Da ballern die Bösen runter und wollen die Jedi-Ritter auslöschen, zz-ztosch, zz-ztosch.
Ich: Und sterben die dann wirklich?
R.: Quatsch, sind doch aus Lego.
Ich: Und wie ist das in einem echten Krieg?
R.: Na, da kann man die Soldaten nicht einfach wieder hinstellen. Die sterben. So wie in Syrien.
Ich: Findest du das schlimm?
R.: Hä? Jetzt pass mal auf, die Jedis haben sich total clever formiert und schlagen zurück, t-t-t-t-t-wumm-wumm. Mindestens hundert Tote.
Ich: Die gibt es auch jeden Tag in Syrien.
R.: Weiß ich, das ist nicht witzig. Aber es gibt ja auch nette Soldaten, so wie dieser hier. Guck, der hat ‘ne Blume am Popo.
Ich: Wieso hat er eine Blume am Popo?
R.: Das ist ein pazifistischer Soldat!
Ich: Echt? So was gibt’s bei Star Wars, ist ja toll.
R.: Haha, reingelegt! Der läuft gerade durch ein Schlachtfeld voller Blumen und tarnt sich.

Star Wars