Monthly Archives: March 2014

Liebster Award

Dieser Blog hat einen Preis bekommen, den Liebster Award. Es ist eine Auszeichnung von Bloggern für Blogger, um die kleinen Auftritte (unter 200 Follower) bekannter zu machen. Sozusagen ein Preis von Liebhabern für Liebhaber. Ich freue mich sehr.

Da ich noch nie in die Statistik meines Providers geschaut habe, weiß ich zwar nicht, wie viele Leute mein Zeug lesen – 10, 100 oder 1000? Jedenfalls sind ein paar dabei, die nicht mit mir verwandt, befreundet oder aus anderen Gründen verpflichtet wären, mich zu lesen. Eine davon ist Christine von der “Villa Schaukelpferd”. Sie hat mich irgendwie in den Weiten des Internet aufgestöbert und nominiert. Merci, Christine! Und sie hat mir – den Regeln des Liebster Award folgend – 11 Fragen gestellt. Die soll ich beantworten, danach meinerseits 11 Blogs nominieren und den Nominierten 11 Fragen stellen.

Da schon mehrere Wochen seit der Preisvergabe vergangen sind, mich das schlechte Gewissen plagt, den Ball noch nicht weitergespielt zu haben, und da ich außerdem keine 11 preiswürdigen Blogs kenne und beurteilen kann, erlaube ich mir eine kleine Änderung der Regeln: Ich beantworte unten die 11 Fragen von Christine. Nominiere dann aber nur 3 Blogs und stelle folglich auch nur 3 Fragen. Verzeiht, liebe Blogger-Gemeinde! Das Leben ist begrenzt und die Zahl der Buchstaben, die ich täglich tippen kann, leider auch. Also, hier meine Antworten.

LiebsterAward

1. Welche Person aus der Zeitgeschichte (egal ob schon tot oder noch lebendig) würdest du gerne treffen und warum?
Kurt Tucholsky. Ich würde versuchen, ihm seinen Selbstmord auszureden, auf dass er noch mehr hellsichtige, feinsinnige, unglaublich lustige Texte schreibe.

2. Tee oder Kaffee? Wurst oder Käse? Tee und Käse. Beides gerne jederzeit und in Mengen und gern auch gemeinsam.

3. Das Schönste, das dir jemals jemand gesagt hat? I love how you walk.

4. Über was würdest du niemals bloggen? Ich würde über jedes Thema bloggen. Die Kunst ist allerdings, den richtigen Ton und den passenden Ansatz zu finden. Das gelingt mir nicht bei allen Themen, die ich spannend finde. Beispiele: mein Englisch-Nachhilfe-Schüler und der miserable Sprachunterricht in Frankreich. Französische Familienpolitik versus deutsche Familienpolitik. 

5. Welche drei Dinge würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen? Mein Mann geht leider nicht als Ding durch und müsste zuhause bleiben. Aber bei meinem Baby bin ich nicht so sicher. Es ist zwar schon eine Person, aber auch noch viel Ding, dieses kleine Ding. Abgesehen davon: Einen E-Reader mit dem Bestand der Deutschen Bibliothek und der British Library. Einen Container Ananas. In Ananas ist alles drin, was man essen muss.

6. Wer war der Held deiner Kindheit und warum? Die Archäologen und Forscher aus “Terra X”. Genau wie sie wollte auch ich Pyramiden-Schätze ausgraben, das Rätsel der Amazonen lösen und Geschichten aus Ruinen herauslesen. Wegen “Terra X” habe ich  Geschichte studiert und es nie bereut.

7. Magst du deinen Vornamen oder würdest du lieber anders heißen? Genauso und nicht anders. Fand ich schon im Kindergarten, als die provinziellen Erzieherinnen mir einreden wollten, ich hieße doch in Wahrheit Helene und nicht Helen. Der entschiedene Widerstand gegen dieses “e”, das nicht zu mir gehört, zählt zu meinen frühesten Erinnerungen.

8. Welche übersinnlichen Fähigkeiten hättest du gerne? Fliegen. 

9. Was würdest du machen, wenn du einen Tag lang das Geschlecht wechseln könntest? Im Stehen gegen einen Baum pinkeln. Sex, von der anderen Seite aus empfunden. Mein Gehalt neu verhandeln.

10. Was hast du dir zuletzt für dich gekauft, was nichts mit Putzmitteln oder Babybrei zu tun hat? Ein T-Shirt der bretonischen Bio-Marke Ekyog. Très chic.

11. An welchem Ort der Welt würdest du gerne leben, wenn du könntest? Mit ganz viel Geld: In Paris. Leider will mein Monsieur da überhaupt nicht hin (auch nicht für Geld). Im Moment haben wir das Beste aus zwei Welten: Landleben in den Pyrenäen, und einen festen Wohnsitz im Zentrum von Hamburg.

So. Nun die drei Blogs, die ich auszeichne:

Von Alexandra Frank, “Frau Sisyphos”. Über den ganz normalen Alltagswahnsinn mit Familie in einer deutschen Großtadt.

Von Dahlia Scheindlin, “972mag Dahlia’s”. Politische und gesellschaftliche Kommentare zu   Israel, von einer liberalen Jüdin aus Tel Aviv (auf englisch).

Von Damien Butaeye, “La France vue des grottes”. Fotos und Reiseberichte eines Höhlenforschers und Fotografen, der sämtliche Höhlen Frankreichs besucht (auf französisch).

Herzlichen Glückwunsch! Meine Fragen an die Preisträger:

1. Was soll dein Blog bei den Lesern bewirken?
2. Das größte Missverständnis, das Menschen in Bezug auf dich haben?
3. Wozu sind wir auf der Welt?

La star, c’est moi!

Monsieur ist mal wieder abwesend und ich kann Bébé nicht jeden Tag allein durch die Hügel spazieren tragen, mich unterm Sonnenschirm rollen oder Eiskaffee trinken. Das füllt die Tage nicht aus, ein Ausflug muss her. Und ping! Schon kommt per Email eine Einladung zu einem privaten Klavierkonzert im Schloss des Pianisten (ich erhalte solche Programmhinweise von der Familie unserer Hausbesitzer, die in der Gegend alles und jeden kennen. Alternativer Vorschlag für den gleichen Tag: ein Workshop zum Thema “Alte Apfelbaumsorten richtig propfen”).

Das Schloss des Pianisten ist großes Theater mit Torhaus, Parkanlage, Tennisplatz und Wasserspielen. Das Konzertzimmer füllt fast zur Hälfte ein gigantischer Flügel. Wir sind etwa 30 Gäste, die meisten jenseits der 60. Bébé ist das einzige Bébé. Ich lese die Gedanken einiger grauer Eminenzen, selbst auf französisch: Ob dieses egozentrische Wesen den Kunstgenuss stören wird? Hätte man es nicht anderweitig unterbringen können? Eine Dame im schwarzen Flatterkleid und mit vielen Ketten spricht mich an und schlägt vor, ich solle den Pianisten um Erlaubnis bitten, das Kind mit in den Saal zu nehmen. 

Anders als in Deutschland ist man sich in Frankreich weitgehend darüber einig, dass Kinder nicht überall hin gehören. Kaum jemand käme hier auf die Idee, seine Kleinen mit zu einer Party zu nehmen, zum abendlichen Restaurantbesuch oder zu einer Ausstellungseröffnung. Es gibt Zeiten und Orte für Kinder, und welche für Erwachsene. Ich finde das gut. Eltern, die erwarten, dass alle Welt sich jederzeit auf ihre Zwerge einstellt, haben vergessen, was es heißt, erwachsen zu sein. In diesem Fall aber soll Bébé mit, erstens weil meine Auswahl an Babysittern heute null beträgt und weil ich, zweitens, ausprobieren will, wie das Kind auf Klassik reagiert.

Um das Gespräch mit der Flatterkleid-Frau in andere Bahnen zu lenken, frage ich sie, ob sie womöglich auch aus Deutschland sei, ich hörte da einen vertrauten Akzent? Böser Fehler. Sie zieht ihre pink angemalten Lippen zu einer Schnute und entgegnet, sie sei Autrichienne, Österreicherin. Ihr Mann sei Ungar. Danach hatte ich zwar nicht gefragt, bin jetzt aber im Bilde: Zwei verkniffene k.-u.-k.-Monarchisten.

Ich gehe rein und setze mich ganz an den Rand, um im Falle kindlicher Unvernunft flüchten zu können. Neben uns sitzt der Bürgermeister des Ortes. Der Künstler lässt ein bisschen auf sich warten und tritt dann durch eine Tapetentür vors Klavier. Er spielt erst Bach, dann Chopin. Bébé sitzt auf meinem Schoß und schaukelt rhythmisch vor und zurück. Dann kommt eine rumänische Polka, die wie hoppelnde Hasen klingt. Das Kind gerät außer sich, beklatscht das Stück mit “oh-oh”, “da-da” und “uuiii” und reißt dem Bürgermeister vor Begeisterung sein Taschentuch aus dem Jackett. Die Monarchisten werfen uns säuerliche Blicke zu, woraufhin wir uns entfernen und vom Flur aus weiter zuhören. Während der Pause, die in der Schlossküche stattfindet, zwitschere ich mir einen kleinen Roten, das Kind genehmigt sich ein Viertel Pulvermilch und schließt Freundschaft mit der versammelten Damenwelt (mit Ausnahme der Monarchistin).

Anschließend spielt der Pianist Rachmaninov und Selbstkomponiertes. Alle Achtung, der Mann scheut keinen Vergleich! Bébé döst. Nach dem Konzert schiebe ich mich durchs Gedränge zum Künstler vor, bedanke mich (denn es WAR toll) und sage ihm, dass dies Bébés erstes Konzert überhaupt gewesen sei. Er ist nicht beeindruckt. Sondern wirkt irritiert, dass sich die Augen der um ihn gescharten älteren Damen auf das Kind richten und sie es entzückt anflirten: “Oh, Schätzchen”, “Schau mal hier, Kleiner!”, “Oh là là, nimmst du mir die Brille ab, Süßer?” Der Pianist steht da wie begossen und sagt völlig humorfrei: “Er macht mir Konkurrenz.” Le star, c’est moi!

Unterdessen donnert Bébé seine Windel voll. Ich wickele ihn draußen auf der Wiese und überlege, die Stinkbombe irgendwo im Schloss zu deponieren, als Gruß des kleinsten Zuschauers. Vielleicht unter dem Deckel des Flügels…?  Wir lassen es bleiben. Sehr schade eigentlich.

Palaminy Programm

Cannes man hin, muss man aber nicht

Zugegeben, die Überschrift zu diesem Text ist ein bisschen billig. Aber genau so ist Cannes, unsere letzte Reisestation: sauteuer, aber geschmacklos. Luxus der billigsten Sorte. An der Croisette, der berühmten Strandpromenade, sitzen ockerfarben gebrannte Rentner und schauen abwechselnd auf ihre Rolex und in BILD. Schwer zu sagen, ob die vielen zugekleisterten Russinnen wegen der Pelzmäntel so schwitzen oder weil sie schwer an ihren künstlichen Brüsten tragen.

Bébé und ich schauen uns alles staunend an. Das Kind zieht ein o-förmiges Schnütchen, als es einen Hund im rosa “Hello-Kitty”-Mantel sieht. Zwei kleine Mädchen in identischen Outfits: Tüllröckchen, Mini-Pumps und Glitzer-Boleros: “Oh-oh!” Ein bombastischer Kinderwagen aus weißem Kunstleder fährt vorbei, auf dem in goldenen Buchstaben “Versace Young” steht: “Oh-oh-oh!” (Am Abend mache ich mir den Spaß und google den Preis: Das Ding kostet 3999 Euro). Aus Hamburg bin ich einiges gewöhnt, was dicke Autos, teure Klamotten und übersättigtes Großbürgertum angeht. Aber Cannes erschüttert mich. Auf den Stufen des klotzigen Festpalasts (hier wird alljährlich der rote Teppich für all die nicht weltbewegenden Stars ausgerollt) hocken zwei minderjährige Chinesinnen und schauen gelangweilt auf zahllose Gucci-, Prada- und Celine-Tüten, die sie um sich herum aufgehäuft haben. Klamotten und Handtaschen im Wert von bestimmt einigen tausend Euro sind halb herausgezogen und liegen durcheinander wie tote Jagdbeute.

Abgesehen von solchen Konsum-Leichen finden wir’s schön hier: Es sind 20 Grad, das Mittelmeer glitzert dunkelblau. Morgens, wenn Monsieur/Papa losgefahren ist, um durch die Unterwelt der Côte d’Azur zu kriechen, ziehen wir los: Erst zum Markt in der Altstadt, wo das Baby Händler und Kunden anflirtet und dafür viele “Bonjour, mon beau”-Rufe einheimst. Danach geht’s zum Strand, die Croisette entlang bis zur Marina, wo man anhand der fetten Motoryachten eine Liste weltweiter Steueroasen erstellen könnte: Da dümpelt “Lady Elegance”, Heimathafen Guernsey; “Taj Mahal” von den Caiman-Inseln; “Breeze of Pride” (mein Gott, was für ein Name) aus Monaco etc. Wer wie ich nicht einen  Euro für die öffentliche Toilette bezahlen will, kann hinter dem Wellenbrecher ungestört und mit tollem Meerblick pinkeln gehen.

Am Strandkiosk Nr. 9 trinke ich den ersten Kaffee, Bébé saugt seine Flasche aus und fällt umgehend in Tiefschlaf. Danach halten wir die Füße ins Mittelmeer, das Kind paniert seine Hände mit Sand und lutscht dann erstaunt, aber unerschrocken am Daumen. So vergehen die Tage. Der Kilometerstand des Kinderwagens ist sicher vierstellig. Abends wuchte ich ihn noch hinauf zum Burgberg. Dort in der Festung oberhalb von Cannes war der “Mann mit der eisernen Maske” jahrzehntelang eingesperrt. Ein versteckt gehaltener Zwilling Ludwigs XIV? Ein früher Whistleblower, der ein Staatsgeheimnis mit ins Grab nahm? Man weiß es nicht. Ein bisschen was Interessantes und Schönes (so wie die himmelblauen Mülltonnen) hat die Stadt jedenfalls doch.

Ist der Höhlenbär wieder aufgetaucht, nehmen wir im Schatten der Festung den Apéritif. So kann man Cannes gut aushalten: Bei Nacht und aus der Entfernung betrachtet, mit einem Glas Wein in der Hand.

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