La star, c’est moi!

Monsieur ist mal wieder abwesend und ich kann Bébé nicht jeden Tag allein durch die Hügel spazieren tragen, mich unterm Sonnenschirm rollen oder Eiskaffee trinken. Das füllt die Tage nicht aus, ein Ausflug muss her. Und ping! Schon kommt per Email eine Einladung zu einem privaten Klavierkonzert im Schloss des Pianisten (ich erhalte solche Programmhinweise von der Familie unserer Hausbesitzer, die in der Gegend alles und jeden kennen. Alternativer Vorschlag für den gleichen Tag: ein Workshop zum Thema “Alte Apfelbaumsorten richtig propfen”).

Das Schloss des Pianisten ist großes Theater mit Torhaus, Parkanlage, Tennisplatz und Wasserspielen. Das Konzertzimmer füllt fast zur Hälfte ein gigantischer Flügel. Wir sind etwa 30 Gäste, die meisten jenseits der 60. Bébé ist das einzige Bébé. Ich lese die Gedanken einiger grauer Eminenzen, selbst auf französisch: Ob dieses egozentrische Wesen den Kunstgenuss stören wird? Hätte man es nicht anderweitig unterbringen können? Eine Dame im schwarzen Flatterkleid und mit vielen Ketten spricht mich an und schlägt vor, ich solle den Pianisten um Erlaubnis bitten, das Kind mit in den Saal zu nehmen. 

Anders als in Deutschland ist man sich in Frankreich weitgehend darüber einig, dass Kinder nicht überall hin gehören. Kaum jemand käme hier auf die Idee, seine Kleinen mit zu einer Party zu nehmen, zum abendlichen Restaurantbesuch oder zu einer Ausstellungseröffnung. Es gibt Zeiten und Orte für Kinder, und welche für Erwachsene. Ich finde das gut. Eltern, die erwarten, dass alle Welt sich jederzeit auf ihre Zwerge einstellt, haben vergessen, was es heißt, erwachsen zu sein. In diesem Fall aber soll Bébé mit, erstens weil meine Auswahl an Babysittern heute null beträgt und weil ich, zweitens, ausprobieren will, wie das Kind auf Klassik reagiert.

Um das Gespräch mit der Flatterkleid-Frau in andere Bahnen zu lenken, frage ich sie, ob sie womöglich auch aus Deutschland sei, ich hörte da einen vertrauten Akzent? Böser Fehler. Sie zieht ihre pink angemalten Lippen zu einer Schnute und entgegnet, sie sei Autrichienne, Österreicherin. Ihr Mann sei Ungar. Danach hatte ich zwar nicht gefragt, bin jetzt aber im Bilde: Zwei verkniffene k.-u.-k.-Monarchisten.

Ich gehe rein und setze mich ganz an den Rand, um im Falle kindlicher Unvernunft flüchten zu können. Neben uns sitzt der Bürgermeister des Ortes. Der Künstler lässt ein bisschen auf sich warten und tritt dann durch eine Tapetentür vors Klavier. Er spielt erst Bach, dann Chopin. Bébé sitzt auf meinem Schoß und schaukelt rhythmisch vor und zurück. Dann kommt eine rumänische Polka, die wie hoppelnde Hasen klingt. Das Kind gerät außer sich, beklatscht das Stück mit “oh-oh”, “da-da” und “uuiii” und reißt dem Bürgermeister vor Begeisterung sein Taschentuch aus dem Jackett. Die Monarchisten werfen uns säuerliche Blicke zu, woraufhin wir uns entfernen und vom Flur aus weiter zuhören. Während der Pause, die in der Schlossküche stattfindet, zwitschere ich mir einen kleinen Roten, das Kind genehmigt sich ein Viertel Pulvermilch und schließt Freundschaft mit der versammelten Damenwelt (mit Ausnahme der Monarchistin).

Anschließend spielt der Pianist Rachmaninov und Selbstkomponiertes. Alle Achtung, der Mann scheut keinen Vergleich! Bébé döst. Nach dem Konzert schiebe ich mich durchs Gedränge zum Künstler vor, bedanke mich (denn es WAR toll) und sage ihm, dass dies Bébés erstes Konzert überhaupt gewesen sei. Er ist nicht beeindruckt. Sondern wirkt irritiert, dass sich die Augen der um ihn gescharten älteren Damen auf das Kind richten und sie es entzückt anflirten: “Oh, Schätzchen”, “Schau mal hier, Kleiner!”, “Oh là là, nimmst du mir die Brille ab, Süßer?” Der Pianist steht da wie begossen und sagt völlig humorfrei: “Er macht mir Konkurrenz.” Le star, c’est moi!

Unterdessen donnert Bébé seine Windel voll. Ich wickele ihn draußen auf der Wiese und überlege, die Stinkbombe irgendwo im Schloss zu deponieren, als Gruß des kleinsten Zuschauers. Vielleicht unter dem Deckel des Flügels…?  Wir lassen es bleiben. Sehr schade eigentlich.

Palaminy Programm