Monthly Archives: October 2013

When too perfect, lieber Gott böse

Gestern Abend telefonierte ich mit S. S. ist ein von mir sehr geliebter, kritischer Geist. Was ich aus Frankreich berichte, sei alles ganz wunderbar. Zu wunderbar, sagte S. Wenn das ein Jahr lang so weiterginge, würde sie sich langweilen und die anderen Leser auch. Immer dieser blaue Himmel, immer diese Genüsse, es sei unerträglich. Das erinnert mich an den Spruch des koreanisch-amerikanischen Künstlers Nam June Paik, der in München studiert hat und deshalb den schönen denglischen Satz prägte: “When too perfect, lieber Gott böse.” Ich habe zwar nicht den Eindruck, dass mir irgendeine höhere Macht gerade gram ist. Aber man weiß ja nie. Vorsichtshalber folgt daher nun eine Top-5-Negativliste meines aktuellen Lebens. Voilà.

1. Mir fallen die Haare aus. Sie sind überall: auf den Fliesen im Bad, in den Abflüssen, im Bett, auf meinen Pullovern, selbst in Bébés Windeln. Sie fallen mir strähnchenweise aus, Geheimratsecken rücken unaufhaltsam meine Stirn hinauf. Der klägliche Rest meiner Haare ist fisselig und schlapp. Das ist nach einer Schwangerschaft völlig normal, weiß das Internet und tröstet mich damit überhaupt nicht.

2. Gestern Abend ging die Schermaschine kaputt, mit der Monsieur die Wiese rodet. Das Monstrum ist nun beim Landmaschinenfachmechaniker und nur er und der Himmel wissen, was die Reparatur kosten wird.

3. Monsieur hat vergessen, seine BahnCard abzubestellen. Wir schenken der Deutschen Bahn nun 250 Euro für ein ganzes Jahr Nichtbahnfahren.

4. Die Franzosen nerven. Beispiel: Ich gehe in einen Haushaltswarenladen, um einen neuen Filter für unseren Dunstabzug zu kaufen. Unverschämterweise betrete ich das Geschäft, ohne den französischen Fachausdruck für Dunstabzugshaubenfilter zu kennen. Die Verkäuferin lässt mich meinen Fehler spüren, denn auf meine Umschreibungen reagiert sie mit einem erstaunten, spöttischen Gesicht. “Ça n’existe pas”, so etwas existiert nicht, sagt sie. Und was nicht existiere, führe der Laden nicht. Doch, flehe ich, bestimmt haben Sie so was auch in Ihrer Küche, es ist wirklich ein simples Allerweltsteil… Non, sagt sie. Ça n’existe pas. Frankreich ist sprachliche Monokultur, hier gedeiht nichts außer perfektem Französisch, und sie düngen es mit Arroganz.

5. Bébé besteht auf seinem Drei-Stunden-Stillrhythmus, den er seit Geburt eisern einhält. Auch nachts. Daran ändert das kleine Mittagessen aus Kartoffel-, Süßkartoffel- oder Kürbispüree rein gar nichts, das er seit Neuestem zu sich nimmt und in das ich große Hoffnungen gesetzt hatte. Ich schlafe also immer noch nicht durch und bin daher des öfteren unkonzentriert, übellaunig und uninspiriert.

Zufrieden, liebe S.?

Entenparade

Guck mal, ‘ne gelbe Ente da vorn, sage ich zu Monsieur. Oh, noch eine. Und noch…!? Auf der A64 zwischen Tarbes und Pau überholen wir einen Transporter mit lauter kükengelben Citroen 2CV, Frankreichs bekanntestem Auto.  Wo will sie hin, diese Entenparade? Zu einem Oldtimer-Treffen der französischen Post, sagt Monsieur. Nein, es handelt sich ganz klar um die Sammlung eines exilierten FDP-Mitglieds, entgegne ich. Alles falsch, meint wiederum Monsieur – es ist die Flotte eines Entenrennstalls, berühmt für seine Erfolge bei der Rallye Paris-Marseille. Wir probieren noch weitere Theorien aus, keine ist so richtig schlüssig. Ich versuche den Lkw-Fahrer anzublinzeln, auf dass er mir irgendeinen Hinweis gebe. Umsonst, er schaut dumpf geradeaus. Wenige Kilometer weiter dann ein zweiter Transporter – mit gelben Enten. Die Welt ist doch ein großes Rätsel.

Ententransport

Ein Tag am Meer

Strandwetter in Biarritz, weissagte gestern das Lokalblatt. Wir also hin, man fährt über die (sauteure) Autobahn gute zwei Stunden zum Atlantik. Ergebnis siehe unten. Muss ich viel mehr sagen…? Biarritz ist eine Fototapete in Kitsch-Farben, da kann auch der nüchternste Fotograf nicht anders, als begeistert drauf halten: Auf die pompöse Bäderarchitektur, die spektakuläre Strandpromenade, die im großen Halbrund über die Klippen führt. Und auf die Surfer, die ständig durchs Bild laufen. Bébé döst in seinem Wagen und wir werfen uns abwechselnd in die reichlich sportliche Brandung. Ich versuche mir von ein paar älteren Französinnen abzuschauen, wie man elegant durch die Wellen kommt, ohne durchgeschleudert zu werden. Es gelingt nicht.

Gegen Abend breitet sich am alten Hafen diese besondere Zufriedenheit aus, die einen nach einem Tag voller Licht und Wärme überkommt. Es ist Nachsaison, die Einheimischen sind entspannt. Man rollt in Ruhe seine Handtücher auf, freut sich wohl schon auf ein Glas Wein, auf eine Dusche. Alles schaut andächtig aufs Meer hinaus, wo die Surfer ihre Vorstellung geben; sie spielen im blauen Dunst wie Seehunde. Langsam zerstreut sich dann das Publikum,  die Badetuch-Nachbarn geben einander die Hand, Küsschen links, Küsschen rechts. Dann nehmen sie ihre Schuhe, laufen barfuß die Stufen zum Marktplatz hoch und rufen “à demain”, bis morgen.

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Kröte, verzweifelt gesucht

Wo ist Karlchen? Bis vergangenen Sonntag tauchte er zuverlässig gegen 22 Uhr auf der Terrasse auf, schlich um die Geranientöpfe herum und saß dann einfach so da. Märchenhaft hässlich. Stumm wie ‘ne Kröte. Und jetzt kommt er einfach nicht mehr! Liegt es daran, dass wir ihm alternative Namen anprobiert haben? Egon erschien uns passend, auch Friedhelm. Jedenfalls was Deutsches. Oder kann sich jemand vorstellen, so ein urzeitliches Prachtstück Jerôme, Gilles oder Frédéric zu rufen? Eben. Viel zu weich. Also, liebes Karlchen, wir wollten Sie doch nicht beleidigen! Ich nehme ebenfalls alles zurück, was ich  über Ihre Pocken und das komische Geblubber an Ihrem Hals gesagt haben mag, und niemals, wirklich NIEMALS würde ich Sie gegen die Gartenmauer werfen, denn erstens habe ich ja schon zwei Prinzen (einen großen und einen kleinen) und zweitens funktioniert das nur mir Fröschen, weiß doch jedes Kind. Also, verehrter Herr Kröterich, wagen Sie sich nur wieder hervor, wir vermissen Sie. Mit wärmsten Grüßen, Ihre Terrassenmitbewohner.

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Pantoffelzeit

Über Nacht hat unser Hausberg, der 1912 Meter hohe Cagire (sprich: Kah-schier), eine Mütze aus Schnee bekommen. Der Herbst ist da! Naja, was man hier im Tal so Herbst nennt: Tagsüber sind es immer noch 20 Grad und mehr, die Wäsche dampft auf der Leine in kürzester Zeit trocken und ich turne zwei Mal täglich durch den Feigenbaum, weil die Feigen jetzt so schnell reifen, dass man dabei zusehen kann. Bisher haben wir daraus Feigenmarmelade, Feigentarte, Feigensenf und karamellisierte Feigen (jaa, mit Vanilleeis!) gemacht. Wem noch mehr einfällt, möge sich schleunigst melden, bevor wir (oder der Baum) unter der süßen Last zusammenbrechen.

Trotzdem tun wir so, als würde es bald Winter und sorgen vor. Monsieur hat zehn Kubikmeter Kaminholz bestellt, allerschönste Eiche. Was für eine Verschwendung, sage ich. Sollte man daraus nicht besser Stühle und Schränke für die Ewigkeit zimmern…? Aber die Pyrenäen sind nun mal verschwenderisch dicht mit Eichenwäldern bewachsen, es ist das billigste Holz hier. Hoffentlich brennt es auch eine halbe Ewigkeit.

Herbstvorsorge Teil 2: Wir fahren zu Patrick, dem Kürschner. Ich hatte ihn letzte Woche auf einem Markt kennengelernt und zwei Paar Fellpuschen bestellt, naturweißer Plüsch mit Kautschuksohle. Patrick und seine Frau Sylvie haben nicht weit von uns ein Holzhaus mitten in die Landschaft gestellt. Unten ist das Atelier, oben wohnen sie mit zwei Teenagern. Patrick ist in jungen Jahren durch Frankreich gereist und hat Rock- und Chansonbands mit Lederklamotten und Accessoires ausgestattet. Dann lernte er Sylvie kennen, sie lockte ihn aus seinem Nomandenleben in die Pyrenäen. Es wurde Zeit, “was Vernünftiges” zu machen, wie Patrick erzählt. Das war vor 30 Jahren. Seitdem handarbeiten er und Sylvie Pantoffeln, Westen, Mützen und Teddys aus Schaffell (sorry, liebe Rechtschreibreformer, ich kann das einfach nicht mit drei “f” schreiben, das sieht doch aus wie orthografische Schafsch…). Patrick erfindet die Schnittmuster und schneidet die Felle zu, Sylvie näht und stickt Teddyaugen, Teddynasen und Pantoffel-Deko. Beide tragen eine bunte Feder im Haar, “anstelle von Eheringen”, sagt Patrick. “Sylvies Feder ist länger als meine, weil sie der Boss ist.” Woraufhin der Boss heftig protestiert, ihren Mann dabei aber strahlend anlächelt.

Geld hat die Beiden nie besonders interessiert (wer mehr über Schaf- Schaffell- und Pantoffelpreise wissen will, lese die Fußnote*) Es reiche halt für ein gutes Leben, sagt Patrick. Jetzt im Herbst ist Pantoffel-Hochsaison und Patrick und Sylvie haben gut zu tun; aber im absatzschwachen Frühjahr, nach der Pantoffel- und vor der Touristensaison,  verbringen sie die Tage mit Lesen, mit Gartenarbeit, miteinander.

Je mehr die zwei Pantoffelmacher erzählen, desto mehr mag ich sie und ihr kruschteliges Haus. Nach gut zwei Stunden verabschieden sie uns mit einer Tüte Tomaten aus dem Garten, einem Teddy für Bébé und einer Einladung zum Mittagessen. Patrick will in den nächsten Wochen noch ein langfloriges Fell für Bébés Kinderwagen besorgen und schwört, dass Babys auf Naturfellen besser schlafen und überhaupt insgesamt glücklicher sind. Na dann. Der Herbst kann kommen.

*Ein lebendes Schaf kostet in dieser Gegend etwa 200 Euro. Dessen rohe Haut ist etwa fünf Euro wert. Für ein aufbereitetes Fell zahlen Patrick und Sylvie etwa 30 Euro pro Stück, aus dem dann sechs bis zehn Paar Pantoffeln werden, die je nach Größe zwischen 18 und 39 Euro kosten. Wie viele Paare Patrick und Sylvie im Jahr verkaufen, können sie nicht genau sagen, es sind wohl einige Hundert.

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Unter Ökos

Zwei Täler von uns entfernt, in Arbas, trafen sich am Wochenende die Bio-Vertreter der Region. Die Stände waren rund um das Rathaus aufgebaut, von dessen Dach ausnahmsweise nicht die Trikolore, sondern ein Banner mit gemaltem Obst und Gemüse wehte. Viel junges Volk war da, in Gummistiefeln, mit seltsamen Hüten, bunten Klamotten und deutschen “Atomkraft, nein Danke”-Stickern auf den Rucksäcken. Bio ist hier noch Avantgarde und Sache einer hippieesken Minderheit.

Neben chemiefrei erzeugtem Grünzeug, Brot, Käse und Honig gab es zu bestaunen: Waschmaschinen mit Fahrradantrieb, Öko-Klos mit Torf/Bakterien-“Spülung”, eine Pflanzenapotheke, pflanzlich gefärbte Wolle von glücklichen Schafen, Fellpantoffeln aus glücklichen Schafen mit Naturkautschuk-Sohle. Ich bestelle zwei Paar aus lockigem Fell, die der Kürschner erst noch nähen muss und verabrede mich mit ihm für nächste Woche in seinem Atelier.

Was noch? Eine Art “Bank” mit alternativem Geld. Interessante Sache, die es in ganz Frankreich unter dem Namen SEL gibt (Système d’Echange Local): Die Mitglieder handeln mit Waren und Dienstleistungen auf Basis einer Fantasie-Währung. In dieser Gegend ist das der “Cagire” (so heißt auch der hiesige höchste Berg). 1 Cagire entspricht einer Minute Arbeitszeit. Wenn also beispielsweise Antoine eine Stunde lang Michelles Rasen mäht, hat er 60 Cagire verdient. Dafür macht dann Michelle eine Stunde lang Gilles abgestürzten Computer wieder flott, wofür sie wiederum ihr Kleinkind für 60 Minuten bei Céline parkt usw. Vielleicht wäre das ja DIE Lösung für die Euro-Krise?! Manche der Ökos hier meinen das durchaus ernst.

Während ich noch überlege, ob ich hier und jetzt Mitglied werden soll (1000 Cagire Startguthaben!), parliert Monsieur mit einem freundlichen Jean, der aus Kalk, schwarzer Seife und Farbpulver keramikartige Fußböden, Badewannen und Oberflächen herstellt.  Eine alte Technik aus Marokko, erklärt er. Reines Naturprodukt, wasserdicht, langlebig, hautschmeichelnd. Und tatsächlich fühlt sich das Zeug wunderbar an, wie ein polierter Flusskiesel. Man möchte sich drauf  rollen.

Gegen Nachmittag setzt dann eine Rock-Band der Idylle die Krone auf. Die Jungs spielen Hardrock, als wären wir das wichtigste Publikum der Welt. Ein Regenschauer lässt sie völlig kalt, nur der Mann am Mischpult bekommt eine Plane übergezogen, gehalten von zwei Besenstielen. Dazu turnt ein Mensch im blauen Schlafanzug durch die Menge, um eine Modenschau anzukündigen (man sieht ihn in der Mitte des Fotos, gleich unter dem Pappschild, das auf eine Wickelecke hinweist). Das defilée zeigt Selbstgenähtes, Selbstgehäkeltes, Selbstgefärbtes; ein als Bauernbraut und Bauernbräutigam verkleidetes Pärchen führt die Kollektion an. Dazu kreischen die E-Gitarren immer härter, der Sänger brüllt ins Mikro, natürlich auf Französisch. Bébé fasst es kaum und macht Kulleraugen. Es ist alles wunderschön.

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