Wir sind unserem Fotografen ins Périgord gefolgt, um kurz vor Schluss noch einen anderen Teil Frankreichs zu sehen und um nicht wochenlang allein auf dem Pyrenäen-Hügel zu sitzen (nichts gegen den Pyrenäen-Hügel, er ist wunderbar; doch Bébé und ich fühlen uns in der Abgeschiedenheit manchmal wie die Gallier in „Asterix“: Wir fürchten, der Himmel könnte uns auf den Kopf fallen).
Das Périgord also. Es ist Südfrankreich wie aus dem Bildband: weite Felder, auf denen das Korn in der Hitze steht, enge Dörfer aus hellem Stein, wo Katzen im Schatten dösen und Lavendel und Rosmarin aus den Gärten duften. Wer zwischen 11 und 15 Uhr auch nur einen Finger hebt, ist mit Sicherheit Tourist.
Die Gegend ist ein Hotspot der Frühgeschichte, konserviert in unzähligen Höhlen, die das Wasser der Dordogne und anderer Flüsse in die Uferklippen gegraben hat. Hier reiht sich ein UNESCO-Welterbe an das nächste: die fabelhaften Malereien von Lascaux, 17.000 Jahre alt; die Felsensiedlungen von Les Eyzies, wo die diversen Homos (erectus, dann neandertalensis, dann sapiens) bereits vor 400.000 Jahren lebten und es bis heute tun. Unser Monsieur muss da überall seine Nase und seine Kamera reinstecken, um Bilder für einen Reiseführer zu machen.
Bébé und ich führen derweil das Basislager. Wir kaufen ein und kochen und waschen Wäsche und machen sauber und unterhalten den Herrn abends, wenn er zurückkehrt. In meinen freien Minuten tagträume ich von entspannten Tagen im Büro, rede mit anderen Erwachsenen und mache Sachen, die nicht sofort wieder aufgegessen/schmutzig gemacht/durcheinander gebracht werden.
Wir wohnen nahe St. Cyprien auf einem Campingplatz, direkt am Ufer der Dordogne. Unser Quartier ist ein „mobi-lohm“ wie der Franzose sagt (er meint: mobile home), also ein Plastikhäuschen mit Terrasse. Die Büchse wird tagsüber brüllend heiß und kühlt nachts rasend schnell aus. Bébé liebt das Ding, weil es so übersichtlich ist und weil selbst Fingerklemmen an den Schubladen kaum weh tut, da der überhitzte Kunststoff weich ist wie Gummi.
Wir teilen den Campingplatz und den großen Pool mit zwei Rentnerpaaren aus Holland. Das Schöne an den Franzosen ist, dass sie immer zur gleichen Zeit das Gleiche tun, etwa Abiturprüfungen schreiben, ins Restaurant gehen oder Urlaub machen. Zwischen dem 15. Juli und dem 15. August fahren sie synchron in die Ferien, weshalb man das Land und das schöne Wetter vorher und nachher fast für sich allein hat, zu Nebensaisonpreisen. Die Holländer scheinen in dieser Hinsicht die Antipoden der Franzosen zu sein: zu jeder Zeit an jedem Ort anzutreffen.
Das Kind und ich verdösen die Tage. Wir laufen am Fluss entlang, wir streicheln die Katzen, wir verstecken uns im Schrank, wir bauen „mobi-lohms“ aus Duplo. Mittags essen wir Radieschen, Tomaten, Gurken und kalte Nudeln, dann schwimmen wir im Pool (Bébé furchtlos in einem gelben Ring mit Hoseneinsatz). Am späten Nachmittag sehen wir fern: Am gegenüberliegenden Dordogne-Ufer kommen ältere Damen aus den Wiesen, legen ein Handtuch ins Gras und steigen würdevoll (da in Plastik-Latschen) in den Fluss. Dort verankern sie sich mit dem Hinterteil zwischen den Felsen – jede scheint ihren eigenen Platz dafür zu kennen – und lassen sich, nur noch mit den Köpfen herausschauend, den Blick stromabwärts gerichtet, vom kalten Flusswasser umspülen. Ich wüsste gern, was sich alles in ihnen löst, wenn sie so da sitzen. Blumenerde unter den Nägeln, Nackenverspannungen, Eheprobleme…
Die Damen baden, die Frösche quaken und endlich weht es kühl vom Wasser herüber. Da bin ich dann doch einverstanden mit Monsieur, der immer weg ist. Mit Bébé, der immer da ist. Und mit Frankreich, das so schwer vorankommt, aber in dem zumindest die Flüsse breit und stark und wunderschön fließen.
Bison-Mammuth-Rentier-Fresko in Lascaux II (Faksimile-Höhle des Originals)
Ein sehr zeitgenössisches Bison. Für dieses Foto riskierte der Fotograf seine Kamera und seine Gesundheit