Immer donnerstags hab’ ich Zumba. Das ist keine Krankheit, sondern eine Mischung aus Aerobic, Bauch-Beine-Po und getanztem Boxen. Das Ganze zu lateinamerikanisch aufgemotzter Rummsbums-Musik. Zumba ist eine totale Geschmacksverirrung, aber die lustigste Art, in kurzer Zeit ein Höchstmaß an Energie weg zu zappeln.
In unserem Kurs sind überwiegend Dreizehn- und Vierzehnjährige (die aussehen wie fertige Frauen), zwei ältere Damen jenseits der 50 und ich. Unsere Vorzapplerin heißt Aurélie. Sie ist 33, blond und dauergewellt, mit schönen brauen Augen und Riesenlächeln. Riesig sind auch ihre Kraftreserven: Aurélie kann 90 Minuten lang hopsen, trampeln, springen und uns anfeuern – am Ende rinnt höchstens eine kleine Schweißperle von ihrem in Schreifarben verpackten Dekolleté herunter zum Bauchnabel, wo ein Plastik-Brilliant fröhlich mitwippt.
Am vergangenen Sonntag gibt Aurélie einen ganztägigen Zumba-Workshop und erscheint im knappen Weihnachtsmann-Kostüm. Ihre Nägel sind gold lackiert, in den Ohren glitzern Weihnachtskugeln. Aurélie ist sprühender Stimmung. Sie schmeißt ihren Laptop auf den Tisch, pult eine XXL-Hifibox aus einer Einkaufstüte, stöpselt beides zusammen und schon knallt uns der wahrhaft umwerfende Zumba-Sound entgegen.* “Alleeeeeeez, les filles!”, ruft sie in den Saal, na los Mädels! Wir ordnen uns in Reihen, schauen auf das wirbelnde Duracell-Mädchen da vorn und versuchen, ihr alles nachzumachen. Aurélie wechselt in irrem Tempo von schwingenden Salsa-Schritten zu afrikanischem Regentanz, schreitet dann ein paar Takte mit arrogantem Gesicht umher wie ein Torero, hüpft wie ein kleines Mädchen durch unsichtbare Pfützen und wirft schließlich lasziv den Kopf zurück, klappt die Augen halb zu und täuscht mit viel Hintern- und Busenwackeln einen Striptease vor. Dazu kiekst und quietscht sie wie Mickey Maus.
Keine Frage, die Frau ist ein Clown. Und wie alle guten Clowns kennt auch sie die Härte und Sorgen des echten Lebens. Aurélie war mal Frisörin, wurde schlecht bezahlt und schlecht behandelt. Sie schmiss den Job, entdeckte Zumba und machte sich als Tanzlehrerin selbständig. Das klappt ganz gut, erzählt sie, jedenfalls reicht es für sie selbst und ihre Tochter, die sie allein erzieht. Doch Aurélie tanzt von Montag bis Sonntag, sie muss mindestens zwei bis drei Kurse am Tag geben. Sehr lange wird das nicht mehr gehen, meint sie, denn sie hatte schon mehrere Knie-OPs und spürt die Überlastung im ganzen Körper. Es hilft, sich vor dem Tanzen schnell ein, zwei Zigaretten reinzuziehen, sagt sie ein bisschen verschämt. In Zukunft will sie versuchen, mehr Kurse für Kinder anzubieten, die sind weniger anstrengend. Dann knipst sie die Nachdenklichkeit aus und sagt: Wenn ihr Planschkühe meine Choreographien besser drauf hättet, könnte ich mich an den Rand setzen! Riesengrinsen. Ach, Aurélie. Frohe Weihnachten.
*Zumba macht vor nichts halt, noch nicht mal vor Edith Piafs Klassiker “La Foule”. Das klingt dann so: