Monthly Archives: December 2013

Weihnachtliches Rambazumba

Immer donnerstags hab’ ich Zumba. Das ist keine Krankheit, sondern eine Mischung aus Aerobic, Bauch-Beine-Po und getanztem Boxen. Das Ganze zu lateinamerikanisch aufgemotzter Rummsbums-Musik. Zumba ist eine totale Geschmacksverirrung, aber die lustigste Art, in kurzer Zeit ein Höchstmaß an Energie weg zu zappeln.

In unserem Kurs sind überwiegend Dreizehn- und Vierzehnjährige (die aussehen wie fertige Frauen), zwei ältere Damen jenseits der 50 und ich. Unsere Vorzapplerin heißt Aurélie. Sie ist 33, blond und dauergewellt, mit schönen brauen Augen und Riesenlächeln. Riesig sind auch ihre Kraftreserven: Aurélie kann 90 Minuten lang hopsen, trampeln, springen und uns anfeuern – am Ende rinnt höchstens eine kleine Schweißperle von ihrem in Schreifarben verpackten Dekolleté herunter zum Bauchnabel, wo ein Plastik-Brilliant fröhlich mitwippt.

Am vergangenen Sonntag gibt Aurélie einen ganztägigen Zumba-Workshop und erscheint im knappen Weihnachtsmann-Kostüm. Ihre Nägel sind gold lackiert, in den Ohren glitzern Weihnachtskugeln. Aurélie ist sprühender Stimmung. Sie schmeißt ihren Laptop auf den Tisch, pult eine XXL-Hifibox aus einer Einkaufstüte, stöpselt beides zusammen und schon knallt uns der wahrhaft umwerfende Zumba-Sound entgegen.* “Alleeeeeeez, les filles!”, ruft sie in den Saal, na los Mädels! Wir ordnen uns in Reihen, schauen auf das wirbelnde Duracell-Mädchen da vorn und versuchen, ihr alles nachzumachen. Aurélie wechselt in irrem Tempo von schwingenden Salsa-Schritten zu afrikanischem Regentanz, schreitet dann ein paar Takte mit arrogantem Gesicht umher wie ein Torero, hüpft wie ein kleines Mädchen durch unsichtbare Pfützen und wirft schließlich lasziv den Kopf zurück, klappt die Augen halb zu und täuscht mit viel Hintern- und Busenwackeln einen Striptease vor. Dazu kiekst und quietscht sie wie Mickey Maus.

Keine Frage, die Frau ist ein Clown. Und wie alle guten Clowns kennt auch sie die Härte und Sorgen des echten Lebens. Aurélie war mal Frisörin, wurde schlecht bezahlt und schlecht behandelt. Sie schmiss den Job, entdeckte Zumba und machte sich als Tanzlehrerin selbständig. Das klappt ganz gut, erzählt sie, jedenfalls reicht es für sie selbst und ihre Tochter, die sie allein erzieht. Doch Aurélie tanzt von Montag bis Sonntag, sie muss mindestens zwei bis drei Kurse am Tag geben. Sehr lange wird das nicht mehr gehen, meint sie, denn sie hatte schon mehrere Knie-OPs und spürt die Überlastung im ganzen Körper. Es hilft, sich vor dem Tanzen schnell ein, zwei Zigaretten reinzuziehen, sagt sie ein bisschen verschämt. In Zukunft will sie versuchen, mehr Kurse für Kinder anzubieten, die sind weniger anstrengend.  Dann knipst sie die Nachdenklichkeit aus und sagt: Wenn ihr Planschkühe meine Choreographien besser drauf hättet, könnte ich mich an den Rand setzen! Riesengrinsen. Ach, Aurélie. Frohe Weihnachten.

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*Zumba macht vor nichts halt, noch nicht mal vor Edith Piafs Klassiker “La Foule”. Das klingt dann so:

Allein alles

Bébé und ich waren zwei Wochen allein zuhaus’. Monsieur/Papa befand sich auf Foto-Pirsch. Er kam mit reicher Beute zurück, ist sehr happy und ich – äh, keine Ahnung. Wie geht’s mir eigentlich? Das fragt man sich besser nicht während vierzehn Tagen und vierzehn Nächten mit Winzling, aber ohne Netzwerk aus Großeltern, Freunden und Nachbarn. Ich habe jetzt eine Ahnung, was sich hinter dem Begriff “allein erziehend” verbirgt. Er ist die Untertreibung des Jahrhunderts, denn in Wahrheit bedeutet allein erziehend, dass man von allen nur denkbaren Tun-Wörtern das Partizip bildet und ein “allein” voran stellt (es folgt eine winzige Auswahl): allein wickelnd und allein badend, allein einkaufend (einhändig, denn die andere Hand ist am Baby oder am Kinderwagen). Allein essend und fütternd, allein unterhaltend. Außerdem: Allein sich sorgend bei Husten, Stürzen oder feststeckenden Pupsen. Schließlich jederzeit: allein entscheidend. Vorübergehende oder dauerhafte Alleinerzieherinnen (und Erzieher, die soll es ja geben) können diese Liste sicher endlos fortsetzen. Ich ziehe meine Pudelmütze vor euch! Und auch vor mir, jawohl. Am Ende ist man wenigstens allein der Held.

Hoffen und Ofen

Markt in Aspet. Ich laufe ein bisschen durchs Dorf und schlüpfe zu Saint Martin herein. Was guckt mich an? Ein alter Ofen, der verdrießlich schaut. Rollt ihm da sogar eine gusseiserne Träne aus dem Auge? Wahrscheinlich hat es sich zu ihm herumgesprochen, dass Papst Franziskus die katholische Kirche erneuern will. Ich begrüße das. Doch für den Ofen stellen sich beunruhigende Fragen: Fängt Franziskus mit seiner Modernisierung womöglich in Saint Martin an und lässt eine Zentralheizung einbauen? Werden die Gläubigen dann nicht mehr zum Knacken des Kaminholzes auf die Knie fallen? Ihre nassen Handschuhe nicht mehr auf seinem Deckel trocken braten? Dies sind die Sorgen des Ofens. Ich kann ihn beruhigen. Er gehört noch lange nicht zum alten Eisen. Die Kirche wird weiterhin ein sicherer Ort für knallharte Kerle wie ihn sein. Unverrückbar altmodisch. Und schließlich sei er doch Katholik, da trägt man Hoffnung im Inneren wie ein ewiges Glühen. Hoffen und Ofen, flüstere ich, das spricht mein französischer Mann völlig gleich aus.

Da atmet er erleichtert ein wenig Ruß aus.

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Das mütterliche Drittel

Ich musste dringend mal runter von unserem Hügel. Hier ging mir in den letzten Tagen alles furchtbar auf die Nerven: das Landleben (Hausarbeit in Dauerschleife), der Mann (tagelang unterwegs auf Foto-Pirsch), das Baby (vor allem das!).

Bevor also noch was Schlimmes passiert, steigen wir ins Auto und fahren eine Stunde nach Süden, Richtung Spanien. Kurz vor der Grenze liegt das Heilbad und Ski-Städtchen Bagnères-de-Luchon. Hier haben schon die Römer Wellness gemacht. Bei der Ankunft freue ich mich gegen meinen Willen über ein Werbeposter der Thermalbäder: ein Murmeltier mit Handtuch-Turban. Es provoziert mein erstes Lächeln seit Tagen.

Wir nehmen die Gondel ins Ski-Gebiet und tauchen in 2000 Metern Höhe durch die Wolken in eine gleißend helle Welt aus Schnee und Licht. Die Saison hat noch nicht richtig angefangen und der Ski-Betrieb ist beschaulich: nur ein paar Läufer, die mit viel Platz durch den Pulverschnee schwingen (70 Zentimeter Neuschnee letzte Nacht!); ein paar Snowboarder in neonfarbenen Outfits; einige Rutsch-Zwerge auf kurzen Ski mit großen Helmen. Wir setzen uns in die Sonne ins Café, trinken Café, und ich atme ein und aus und durch.

Bébé interessiert sich für das weiße Zeug, das überall herum liegt. Wissensdurstige soll man nicht aufhalten, denke ich, und lasse das Kind den Schnee befühlen. Es lutscht daran und isst ihn schließlich auf. Später bekommt es davon schlimme Bauchschmerzen und beschimpft uns Eltern als verantwortungslos. Kann ich es denn niemandem Recht machen?! Egal. Der Tag hat eine kühlende, aufhellende Wirkung auf mich. Wir fahren wieder runter in die Wirklichkeit und beschließen erstens, dass Bébé zukünftig Pulvermilch bekommt, wenn mein Busen und ich Lust haben, uns vom Kind zu entfernen. Und zweitens engagieren wir einen Babysitter.

Bébé wird in den nächsten Tagen deutlich sagen, dass es weder mit der Pulvermilch noch mit dem Babysitter einverstanden ist (Laura, die Tochter des Schäfers). Tant pis, dumm gelaufen, wie der Franzose sagt. Das Kind ist schließlich nur ein Drittel der Familie und den anderen beiden Dritteln muss es auch gut gehen. Vor allem dem mütterlichen!

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