Das große Packen und Aufräumen hat begonnen. Trotzdem musste Zeit sein, um etwa 800 Schafe in die Sommerferien zu bringen, hoch auf die Almen nahe Luchon. Bernard, der Schäfer aus unserem Dorf, hat uns eingeladen, seine Herde zu begleiten und auf dem Weg mit anderen Schäfern und ihren Tieren zusammenzutreffen.
Ich kann einer Wanderung ins Hochgebirge nicht widerstehen; und D., mein Fotograf, sah im Geiste schon eine Reportage in schwarz-weiß. Bébé blieb zuhause bei Laura (der Tochter des Schäfers, die diese Tour als Kind jedes Jahr machen musste, so dass sie ein für allemal genug davon hat).
Ich finde, dass D.s Fotos besser als jeder Text erzählen, was wir erlebt haben. Deshalb gibt es diesmal nur knappe Bildunterzeilen.
7.30 Uhr morgens. Schäfer Bernard (in der Mitte mit Bart) und die Helfer warten auf den Laster, der die Schafe aus dem Dorf näher ans Gebirge bringen wird.
Es gelingt nicht auf Anhieb, die Schafe in den Laster zu verladen. Am Ende ist es Evelyne, Bernards Frau, die sie mit grobem Salz und sanften Worten locken kann. Nervöses Getrappel, viel Geblöke – dann sind sie drin.
Die Hütehunde springen von selbst ins Auto. Es geht etwa 1 Stunde über kurvige Landstrassen, die der Laster-Fahrer in einem Affenzahn abreißt, so dass wir ihn in unserem Opel fast verlieren.
Hier beginnt der Aufstieg zur Alm. Im Vordergrund: Pistou, der Große. Bernards Hütehund gehorcht auf beeindruckende Weise: Ein Pfiff, eine Geste und dieser wolfsartige Riese treibt die Schafe dahin, wo sein maître sie haben will.
Liberté, Égalité, Fraternité – meeh! Schafe und Ziegen kennen keine Hierarchie in der Herde. Diese hier bekommt die Anführer-Glocke umgelegt, weil sie einfach gerne vorneweg geht.
Vieni, vieni, lauft zu! Der Ruf der Schäfer stammt aus dem Okzitanischen, der uralten Sprache Südfrankreichs.
Gegen Mittag kurze Rast auf etwa 1200 Metern Höhe.
Pistou ist nicht nur ein ausgezeichneter Hütehund, sondern auch der Vater fast aller Hunde im Dorf. Wo auch immer es einen Wurf Welpen gibt (gerade letzte Woche bei einer Hündin von Emmanuelle, der Bäckerin) – hat Pistou sie gezeugt, worauf Bernard nicht wenig stolz ist.
Dieser Ziegenbock will nicht so, wie er soll und senkt kampfbereit die Hörner. Woraufhin Pistou ihm wenig zimperlich klar macht, wer hier das Sagen hat.
“Siehst du, dass ich die Hirtenstäbe hier als grafisches Element genutzt habe?”, fragt Monsieur, als er mir dieses Bild zeigt. Ja doch, sehr grafisch!
Der Kleine im Hintergrund wird gleich von einem der Schäfer tief untergetaucht, was die Männer zum Brüllen witzig finden und der Kleine nur zum Brüllen…
Die Schäfer vor der Almhütte. Manche sind mit hunderten Tieren gekommen, andere nur mit einer Handvoll. Für alle ist die transhumance (wörtlich: auf anderer Erde gehen) ein Tag der Freundschaft, der Geselligkeit. Sie scheinen hier oben aufzuatmen und ihre Gedanken frei zu lassen.
Einige Frauen sind mit Pickups hoch gekommen, aus denen sie Kühltaschen voller Bratwürste, Kartoffelsalat und Himbeer-Tarte in die Hütte schleppen. Vor dem Essen gibt es flaschenweise Ricard, Anisschnaps.
Die Schafe gehen draußen in dichten Wolken ihrer Wege. Drinnen brennt ein kräftiges Feuer und der Schnaps fliesst. Der junge Mann in der Mitte ist Jean-Pierre, unser nächster Nachbar.
Etwa 20 Minuten später.
Nur die Hunde und die Kinder werden nicht müde.
Am späten Nachmittag wandern wir mit Bernard, Evelyne und Pistou zurück ins Tal. “Warum haben wir uns bloss nicht früher richtig kennengelernt?”, fragt Bernard. Wir kommen sehr glücklich und erfüllt zuhause an, nicht nur wegen dieser Frage.