Monthly Archives: June 2014

Freunde eines Jahres (Au revoir 2)

Wir können nicht wegfahren, ohne ein Abschiedsfest zu geben. Die Gästeliste zu schreiben dauert etwa eine Minute. Wir laden einfach alle ein, die uns im Laufe eines Jahres ans Herz gewachsen sind. 15 Namen stehen drauf. Es kommen schließlich 27 den Hügel herauf, weil viele ihre Partner, Freunde und Kinder mitgebracht haben (Hunde nicht mitgezählt).

Wir werden mit essbaren Geschenken überhäuft (Berghonig, zehn Sorten Ziegenkäse, hausgemachte Gänseleber, Weine aus der Region, eingemachte Kirschen, eingemachte Mirabellen, Bärlauch-Pesto, Kastanien-Püree und und und). Als die Bergketten im tintenblauen Dunkel versinken, sitzen draußen am Tisch:

Muriel und Olivier, befreundete Höhlenbären. Unser Automechaniker Christophe. Meine Zumba-Girls. Bäckerin Emmanuelle mit Mann und zwei Söhnen. Die Nachbar-Bauern. Patrick und Sylvie, die Pantoffelmacher aus dem nächsten Dorf, mit zwei erwachsenen Kindern. Patrick und Caroline, die ganz in der Nähe ein ehemaliges Wohnhaus von Zisterzienser-Mönchen aus dem 12. Jahrhundert restaurieren (über dieses beeindruckende Projekt wollte ich auch noch schreiben. Aber wann bloß…?) Weiter: Nachbar Fred und Angelique, eine Flamenco-Lehrerin, kommen zwei entzückenden Töchtern, die unser Bébé an beide Händen fassen und ihn mit ihrem riesenhaften Hund Romeo bekannt machen (was auf Bébés Seite begeisterte “wau-wau”-Rufe auslöst und Romeo ziemlich kalt lässt). Bébés Babysitter Laura und deren Eltern: Bernard, der Schäfer, mit Evelyne.

Der Abend ist lau, Monsieur grillt Lammkoteletts und meine charmante Schwester, die zu Besuch ist, füllt Gläser nach und wird von kleinen Mädchen und Männerblicken verfolgt. Für mich wäre dies jetzt der Moment, sentimental zu werden. Ach, die Berge. Der weite Himmel. Unser Haus. Die Menschen, die wir mögen und die uns mögen. Und ein Jahr, das zu Ende geht. Doch so sehr mir bewusst ist, etwas Kostbares und Einzigartiges erlebt zu haben – festhalten will ich es nicht. Es darf vorbei sein. Und so sitze ich auf der noch warmen Steinmauer am Haus, höre unsere Freunde lachen und palavern. Denke an unser Kind, das schon seit Stunden schläft.

Als wir herkamen, war es noch ein schlappes Püppchen mit Wackelkopf. Jetzt ist daraus ein unerschrockener kleiner Junge geworden, der auf eigenen Beinen steht (wenn er auch noch nicht geht). Seit wir hier sind nehme ich ihn jeden Abend vor dem Schlafengehen auf den Arm und wir gehen einmal ums Haus herum, um allen eine gute Nacht zu wünschen. Gute Nacht, Kühe. Gute Nacht, Eidechsen, Hunde und Kauze. Gute Nacht Marderfamilie, die im Dach wohnt. Das Kind schaut dann meist noch erwartungsvoll und ich mache weiter: Gute Nacht, Berge. Gute Nacht, Sonne und Wolken und Wiese. Noch immer große Augen. Weiter, Mama! Also gut (es hören ja nur wir beide): Gute Nacht, Komposthaufen. Gute Nacht, Gartenschlauch…

Was für ein seltsames Gefühl, so viel Schönes nicht wiederholen zu wollen. Heißt das, dass es nicht schön war? Nein. Es heißt wohl eher, dass uns hier in Frankreich das seltene Kunststück gelungen ist, ganz im Hier und Jetzt zu leben.

Gegen drei Uhr morgens sagen uns die letzten Freunde au revoir und: Wie schön, euch kennengelernt zu haben, bleibt heil und gesund, wir werden euch vermissen, kommt wieder, ihr seid immer willkommen.

Gute Nacht, alle. Au revoir, Frankreich.

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Rudi ist platt

Hier geht Seltsames vor. Die Großen haben angefangen, Dinge in Kartons zu packen. Toll, dachte ich zuerst, endlich haben sie das Spiel begriffen! Denn auch ich verbringe viel Zeit damit, alles an den richtigen Platz zu schaffen: Dupla-Steine gehören unter den Küchenschrank. Krümel und Essensreste wische ich vom Teller auf den Boden. Und Taschentuch-Packungen müssen ins Gästeklo. Deckel auf, Taschentücher rein. Die Packung dreht sich sehr schön im Kreis, saugt sich langsam mit Wasser voll und geht dann unter. Wunderbar! Ich schaue mir das nach Möglichkeit mehrmals am Tag an (manchmal machen sie leider die Tür vom Gäste-Klo zu und ich komme nicht rein).

Doch wie das bei meinen Großen fast immer der Fall ist, verfolgen sie offenbar einen Plan. Ich weiß noch nicht genau, welchen. Aber unsere Sachen werden kartonweise ins Auto und auf einen Anhänger verladen, der neuerdings im Garten steht. Apropos Auto: Papa hat es außen geduscht und innen gesaugt. Das hat er noch nie gemacht, so lange ich lebe! Und dann hat Mama den Stöpsel aus Rudis Popo genommen und ihm die Luft abgelassen. Rudi ist mein Pferd und jetzt ganz platt. Ratet, was sie dann mit ihm gemacht haben! Genau – er kam auch in einen Karton. Das alles bestätigt meinen Verdacht, dass hier etwas ganz Merkwürdiges geschieht. Ich halte euch auf dem Laufenden.

Auf anderer Erde gehen

Das große Packen und Aufräumen hat begonnen. Trotzdem musste Zeit sein, um etwa 800 Schafe in die Sommerferien zu bringen, hoch auf die Almen nahe Luchon. Bernard, der Schäfer aus unserem Dorf, hat uns eingeladen, seine Herde zu begleiten und auf dem Weg mit anderen Schäfern und ihren Tieren zusammenzutreffen.

Ich kann einer Wanderung ins Hochgebirge nicht widerstehen; und D., mein Fotograf, sah im Geiste schon eine Reportage in schwarz-weiß. Bébé blieb zuhause bei Laura (der Tochter des Schäfers, die diese Tour als Kind jedes Jahr machen musste, so dass sie ein für allemal genug davon hat).

Ich finde, dass D.s Fotos besser als jeder Text erzählen, was wir erlebt haben. Deshalb gibt es diesmal nur knappe Bildunterzeilen.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, France7.30 Uhr morgens. Schäfer Bernard (in der Mitte mit Bart) und die Helfer warten auf den Laster, der die Schafe aus dem Dorf näher ans Gebirge bringen wird.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceEs gelingt nicht auf Anhieb, die Schafe in den Laster zu verladen. Am Ende ist es Evelyne, Bernards Frau, die sie mit grobem Salz und sanften Worten locken kann. Nervöses Getrappel, viel Geblöke – dann sind sie drin.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, France
Klappe zu und los!

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceDie Hütehunde springen von selbst ins Auto. Es geht etwa 1 Stunde über kurvige Landstrassen, die der Laster-Fahrer in einem Affenzahn abreißt, so dass wir ihn in unserem Opel fast verlieren.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceHier beginnt der Aufstieg zur Alm. Im Vordergrund: Pistou, der Große. Bernards Hütehund gehorcht auf beeindruckende Weise: Ein Pfiff, eine Geste und dieser wolfsartige Riese treibt die Schafe dahin, wo sein maître sie haben will.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceLiberté, Égalité, Fraternité – meeh! Schafe und Ziegen kennen keine Hierarchie in der Herde. Diese hier bekommt die Anführer-Glocke umgelegt, weil sie einfach gerne vorneweg geht.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, France

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceVieni, vieni, lauft zu! Der Ruf der Schäfer stammt aus dem Okzitanischen, der uralten Sprache Südfrankreichs.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceGegen Mittag kurze Rast auf etwa 1200 Metern Höhe.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FrancePistou ist nicht nur ein ausgezeichneter Hütehund, sondern auch der Vater fast aller Hunde im Dorf. Wo auch immer es einen Wurf Welpen gibt (gerade letzte Woche bei einer Hündin von Emmanuelle, der Bäckerin) – hat Pistou sie gezeugt, worauf Bernard nicht wenig stolz ist.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceDieser Ziegenbock will nicht so, wie er soll und senkt kampfbereit die Hörner. Woraufhin Pistou ihm wenig zimperlich klar macht, wer hier das Sagen hat.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, France“Siehst du, dass ich die Hirtenstäbe hier als grafisches Element genutzt habe?”, fragt Monsieur, als er mir dieses Bild zeigt. Ja doch, sehr grafisch!

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceDer Kleine im Hintergrund wird gleich von einem der Schäfer tief untergetaucht, was die Männer zum Brüllen witzig finden und der Kleine nur zum Brüllen…

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, France

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Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceDie Schäfer vor der Almhütte. Manche sind mit hunderten Tieren gekommen, andere nur mit einer Handvoll. Für alle ist die transhumance (wörtlich: auf anderer Erde gehen) ein Tag der Freundschaft, der Geselligkeit. Sie scheinen hier oben aufzuatmen und ihre Gedanken frei zu lassen.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, France
Einige Frauen sind mit Pickups hoch gekommen, aus denen sie Kühltaschen voller Bratwürste, Kartoffelsalat und Himbeer-Tarte in die Hütte schleppen. Vor dem Essen gibt es flaschenweise Ricard, Anisschnaps.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, France
Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceDie Schafe gehen draußen in dichten Wolken ihrer Wege. Drinnen brennt ein kräftiges Feuer und der Schnaps fliesst. Der junge Mann in der Mitte ist Jean-Pierre, unser nächster Nachbar.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, France
Etwa 20 Minuten später.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceJean-Pierres Vater.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceNur die Hunde und die Kinder werden nicht müde.

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, France

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, France

Transhumance Luchon, Haute-Garonne, FranceAm späten Nachmittag wandern wir mit Bernard, Evelyne und Pistou zurück ins Tal. “Warum haben wir uns bloss nicht früher richtig kennengelernt?”, fragt Bernard. Wir kommen sehr glücklich und erfüllt zuhause an, nicht nur wegen dieser Frage.

In der Höhle des Monsieur Gilbert

Gilbert Pémandrant ist 79 Jahre alt und geht immer noch jeden Tag zur Arbeit. Sein Arbeitsplatz ist konstant 13 Grad kühl, stockdunkel und ein wenig feucht. Monsieur Gilbert besitzt eine Höhle, die Grotte de Bernifal. Wir fahren hin, es ist die letzte im Périgord und überhaupt eine der letzten Etappen auf der langen Liste unterirdischer Sehenswürdigkeiten, die mein Mann in ganz Frankreich fotografiert.

Wir müssen drei Mal umkehren und zwei Mal nachfragen, um die Höhle zu finden. Denn Monsieur Gilbert führt zwar gerne Touristen (und die Presse) hinein, er will es den Leuten  aber offenbar nicht zu einfach machen. Mir scheint, als hätte er mindestens jeden zweiten Wegweiser abmontiert. Die Bernifal muss man sich verdienen, soll das wohl heißen.

Wir lassen das Auto auf einem kleinen Schotterplatz stehen, der Fotograf schleppt schwer an seiner Fotoausrüstung und ich hopple mit Bébés Kinderwagen voraus in den Wald. Endlich kühl! Es ist später Nachmittag und die Sonne schickt hellgrünes Licht durch die Laubbäume. Der Pfad geht steil bergan, das Kind wird gerüttelt und gestoßen (es kennt das schon und bleibt cool). Oben erwartet uns Monsieur Gilbert: gebeugt, mit hellwachen Augen. Er sagt Bonjour und lächelt nicht. Eine Sicherheitsnadel am Kragen seines alten Strickpullis verhindert, dass dieser sich gänzlich auflöst.

Bébé wird in lange Hosen, Socken, Fleecejacke und Mütze gesteckt und schaut uns an, als würde er sagen: Leute, es sind 30 Grad! Aber bei euch wundert mich ja gar nichts mehr… Auch wir packen uns warm ein. Dann sperrt Monsieur Gilbert eine dunkelgrüne Eisentür auf, die in den Fels eingelassen ist und schaltet eine rostige Glühlampe an. Das Kabel verschwindet in einer Tasche, die ihm über der Schulter baumelt. Was ist da drin? “Rasenmäher-Batterie”, grummelt er mit seinem südfranzösischen Akzent, “wiegt ein paar Kilo, bewährt sich aber seit Jahrzehnten.”

Drinnen dann – eine zauberhafte Welt. Monsieur Gilbert lässt die Stille und die Finsternis wirken, erst dann beginnt er die Tour. Seine Stimme hallt tief im Berg nach. Die Grotte de Bernifal wurde 1902 auf dem Land seiner Familie entdeckt, sie ist sein Eigentum. Die Bilder und Gravuren darin haben Menschen der Magdalénien-Kultur am Ende der letzten Eiszeit geschaffen, vor 15 000 Jahren. Die Werke sind so bedeutsam, dass sie staatlich geschützt sind und zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen. Doch wie Monsieur Gilbert diesen Schatz präsentiert, das überlässt man ihm allein. Und das wiederum ist unfassbar großes Glück.

Denn diese Höhle ist kein Museum. Es gibt keinen Strom, keine Laufstege, keine Erklärtafeln, kein Panzerglas, keine Absperrung und keinen Shop. Monsieur Gilbert hat noch nicht mal eine Bank aufgestellt und noch nie im Leben eine Postkarte verkauft. Nein, seine Höhle soll ein Stück unmittelbarer Urzeitkultur bleiben, nahezu so, wie die Menschen der rätselhaften, westeuropäischen Zivilisation des Magdalénien sie verlassen haben. Warum malten sie Mammuts, Bisons und Wildpferde auf den Fels? Warum nahmen sie die Mühe auf sich, im flackernden Licht einer Öllampe einen Höhlenbären aus dem Stein zu schlagen? Und wer war die Frau, deren Gesicht uns von der Wand anschaut, so als trennten uns nicht Jahrtausende, sondern nur ein Wimpernschlag? Dieses Porträt ist, soweit wir wissen, das einzige Bild eines menschlichen Antlitzes der Epoche. Ich kann die Augen nicht davon lassen.

Wir gehen mit tastenden Schritten immer tiefer in die Gänge und Galerien hinein, schauen und staunen. Der Fotograf darf seine Blitzgeräte hinstellen, wo er will, und Bébé, der sich vor Neugier windet, kriecht auf dem feuchten Höhlenboden spazieren. Doch dann erlaubt sich Monsieur Gilbert den Scherz, seine Lampe auszuschalten, als das Kind, mehrere Meter von uns entfernt, gerade einen Stalagmiten befühlen will. Et alors, ruft er ins Dunkle, was machst du jetzt, kleiner Wicht? Dem kleinen Wicht wird angst und bang, er kreischt und will SOFORT aus der Höhle raus. Damit ist die Führung für mich beendet.

Draussen empfängt uns die warme Sommerluft wie ein lange vermisster Freund. Bébé und ich picknicken im Abendlicht, dann räumt das Kind ein bisschen im Wald auf (trockene Blätter, Ästchen und Steine werden von hier nach dort transportiert). Zwei Stunden warten wir so auf unseren Fotografen, dann treten er und Monsieur Gilbert aus der Eisentür, vertieft in ein Fachgespräch über Kalkablagerungen auf Höhlenkunstwerken, Fragen der Konservierung und angemessene Eintrittspreise (Monsieur Gilbert nimmt 7 Euro für den Besuch seiner magischen Zeitkapsel, inklusive Führung).

Wir mögen uns nicht trennen. Wir nicht von Monsieur Gilbert und er, so scheint es, auch nicht von uns. Er lebt allein, zuhause warten nur ein paar Kühe auf ihn. Heute sei sein Geburtstag, sagt er. Bébé zwickt ihm ganz herzlich in die Nase. Da lächelt er zum ersten Mal. In der Dämmerung sagen wir schließlich Au revoir und Monsieur Gilbert fügt ganz ernsthaft hinzu: bis zum nächsten Mal. Ja, bis zum nächsten Mal! Und wenn wir es nicht sind, dann ihr! Bitte, wer je in die Gegend von Les Eyzies im Périgord kommt, suche und finde die wunderbare Grotte de Bernifal. Solange Monsieur Gilbert noch da ist, um keine Postkarten zu verkaufen, keinen Strom zu legen und kein Panzerglas zu installieren. Ein wahrer Hüter der Höhle.

Sie gehörte seinem Vater und vor ihm seinem Großvater. Einen Nachfolger hat er nicht.

Grotte de Bernifal, Dordogne, FranceGrotte de Bernifal, Dordogne, France

Grotte de Bernifal, Dordogne, France

Grotte de Bernifal, Dordogne, FranceGrotte de Bernifal, Dordogne, FranceGrotte de Bernifal, Dordogne, FranceGrotte de Bernifal, Dordogne, FranceGrotte de Bernifal, Dordogne, France

Ferien im Périgord

Wir sind unserem Fotografen ins Périgord gefolgt, um kurz vor Schluss noch einen anderen Teil Frankreichs zu sehen und um nicht wochenlang allein auf dem Pyrenäen-Hügel zu sitzen (nichts gegen den Pyrenäen-Hügel, er ist wunderbar; doch Bébé und ich fühlen uns in der Abgeschiedenheit manchmal wie die Gallier in „Asterix“: Wir fürchten, der Himmel könnte uns auf den Kopf fallen).

Das Périgord also. Es ist Südfrankreich wie aus dem Bildband: weite Felder, auf denen das Korn in der Hitze steht, enge Dörfer aus hellem Stein, wo Katzen im Schatten dösen und Lavendel und Rosmarin aus den Gärten duften. Wer zwischen 11 und 15 Uhr auch nur einen Finger hebt, ist mit Sicherheit Tourist.

Die Gegend ist ein Hotspot der Frühgeschichte, konserviert in unzähligen Höhlen, die das Wasser der Dordogne und anderer Flüsse in die Uferklippen gegraben hat. Hier reiht sich ein UNESCO-Welterbe an das nächste: die fabelhaften Malereien von Lascaux, 17.000 Jahre alt; die Felsensiedlungen von Les Eyzies, wo die diversen Homos (erectus, dann neandertalensis, dann sapiens) bereits vor 400.000 Jahren lebten und es bis heute tun. Unser Monsieur muss da überall seine Nase und seine Kamera reinstecken, um Bilder für einen Reiseführer zu machen.

Bébé und ich führen derweil das Basislager. Wir kaufen ein und kochen und waschen Wäsche und machen sauber und unterhalten den Herrn abends, wenn er zurückkehrt. In meinen freien Minuten tagträume ich von entspannten Tagen im Büro, rede mit anderen Erwachsenen und mache Sachen, die nicht sofort wieder aufgegessen/schmutzig gemacht/durcheinander gebracht werden.

Wir wohnen nahe St. Cyprien auf einem Campingplatz, direkt am Ufer der Dordogne. Unser Quartier ist ein „mobi-lohm“ wie der Franzose sagt (er meint: mobile home), also ein Plastikhäuschen mit Terrasse. Die Büchse wird tagsüber brüllend heiß und kühlt nachts rasend schnell aus. Bébé liebt das Ding, weil es so übersichtlich ist und weil selbst Fingerklemmen an den Schubladen kaum weh tut, da der überhitzte Kunststoff weich ist wie Gummi.

Wir teilen den Campingplatz und den großen Pool mit zwei Rentnerpaaren aus Holland. Das Schöne an den Franzosen ist, dass sie immer zur gleichen Zeit das Gleiche tun, etwa Abiturprüfungen schreiben, ins Restaurant gehen oder Urlaub machen. Zwischen dem 15. Juli und dem 15. August fahren sie synchron in die Ferien, weshalb man das Land und das schöne Wetter vorher und nachher fast für sich allein hat, zu Nebensaisonpreisen. Die Holländer scheinen in dieser Hinsicht die Antipoden der Franzosen zu sein: zu jeder Zeit an jedem Ort anzutreffen.

Das Kind und ich verdösen die Tage. Wir laufen am Fluss entlang, wir streicheln die Katzen, wir verstecken uns im Schrank, wir bauen „mobi-lohms“ aus Duplo. Mittags essen wir Radieschen, Tomaten, Gurken und kalte Nudeln, dann schwimmen wir im Pool (Bébé furchtlos in einem gelben Ring mit Hoseneinsatz). Am späten Nachmittag sehen wir fern: Am gegenüberliegenden Dordogne-Ufer kommen ältere Damen aus den Wiesen, legen ein Handtuch ins Gras und steigen würdevoll (da in Plastik-Latschen) in den Fluss. Dort verankern sie sich mit dem Hinterteil zwischen den Felsen – jede scheint ihren eigenen Platz dafür zu kennen – und lassen sich, nur noch mit den Köpfen herausschauend, den Blick stromabwärts gerichtet, vom kalten Flusswasser umspülen. Ich wüsste gern, was sich alles in ihnen löst, wenn sie so da sitzen. Blumenerde unter den Nägeln, Nackenverspannungen, Eheprobleme…

Die Damen baden, die Frösche quaken und endlich weht es kühl vom Wasser herüber. Da bin ich dann doch einverstanden mit Monsieur, der immer weg ist. Mit Bébé, der immer da ist. Und mit Frankreich, das so schwer vorankommt, aber in dem zumindest die Flüsse breit und stark und wunderschön fließen.

Foto 1-1Campingplatz an der Dordogne

photo 1_LR Bison-Mammuth-Rentier-Fresko in Lascaux II (Faksimile-Höhle des Originals)

photo 2_LR

Ein sehr zeitgenössisches Bison. Für dieses Foto riskierte der Fotograf seine Kamera und seine Gesundheit

Foto 2Bébé entdeckt im Museum einen urzeitlichen Höhlenbären

Au revoir (1)

Wir fangen an, au revoir zu sagen. In vier Wochen ist unsere Zeit auf dem grünen Hügel zu Ende.

Unglaublich, dass das schon ein ganzes Jahr gewesen sein soll. Dabei gibt es noch Gipfel zu besteigen, Dörfer zu durchschlendern, Menschen zu treffen. Meine Freundin S. bittet dringend darum, über ein Dorffest zu berichten (sie möchte tanzende Jungbauern sehen, vermute ich). Außerdem will uns ein benachbarter Bio-Bauer in die Geheimnisse homöopathischer Behandlungen für Kühe einweihen. Ich will über den Kräuter-Doktor im Dorf erzählen und über die Kreationisten-Sekte, die bei uns am Hang siedelt. Mitte Juni wollen wir noch den Almauftrieb von 200 Schafen miterleben…

Das erste au revoir sagen wir zu Bébés Kinderärztin Michèle. Das Kind liebt Michèle, seit sie im vergangenen Jahr einen Hörtest mit ihm durchgeführt hat – mittels einer Dose, aus der lautes Muhen klang. Bébé drehte ordnungsgemäß den Kopf in jeweils die Ecke der Praxis, aus der es muhte und fand die Sache äußerst unterhaltsam. Michèle ist die Frau, die “muh” macht. Das schafft Sympathien, nicht nur bei Bébé. Sie hat mit meiner Übersetzungshilfe geduldig sein deutsches Untersuchungsheft geführt (U3 bis U6) und kann inzwischen fehlerfrei “Kopfumfang”, “normal entwickelt” und sogar “Ständige Impfkommission” sagen.

Heute waren wir zum Impfen da. Ich musste in die Apotheke fahren, um den Impfstoff abzuholen, während Bébé bei Michèle blieb. Sie haben Doktor gespielt, schätze ich. Dann gab es je eine große Spritzen in beide Oberschenkel, wofür Michèle von Bébé übel beschimpft wurde. Am Ende bekam sie dann aber doch einen begeisterten, feuchten Kuss.

Au revoir, Michèle!

Amardeil