Darauf einen Birkensaft

Wir sind bei Christophe zum Abendessen eingeladen. Christophe ist ein befreundeter Höhlenbär (Monsieur hat hier ein ganzes Rudel gefunden, mit dem er sonntags erst auf und dann buchstäblich in die Berge klettert).

Wie alle Vertreter der Spezies Höhlenbär ist Christophe drahtig, bärtig, in Outdoor-Klamotten (weil meistens outdoor). Er wohnt drei Hügel von uns entfernt in einem selbst gebauten Holzhaus, in das er eine etwa sechs Meter hohe Kletterwand eingebaut hat. Ich stelle mir vor, wie Christophe abends an einem Gurt unter der Decke baumelt und Klettergriffe übt, während unten der Braten im Ofen schmort und seine vier Kinder Comics gucken oder Hausaufgaben machen. Wo ist die Mutter der Kinder, frage ich. Die Mütter, sagt Christophe. Beide würden um die Ecke wohnen und seien sehr beschäftigt, weshalb die Kinder meistens bei ihm seien. Oh, interessant, sage ich, und will weiter nach dem Wie, Was und Warum fragen. Aber mehr gibt es dazu von Christophs Seite nicht zu sagen und Monsieur ist mir überhaupt nicht dabei behilflich, mehr über die Familiengeschichte zu erfahren, denn schon fachsimpeln die Beiden über die beste Technik, Terrakotta-Fliesen zu verlegen…

Bevor wir essen, will Christophe uns etwas zeigen. Wir zwängen uns in seinen total zerbeulten Fiat und hoppeln einen Feldweg hoch, der selbst für Geländewagen oder Trecker eine Herausforderung wäre. Autofahren ohne Kindersitz! Bébé hüpft hinten auf Papas Schoß und findet es spektakulär lustig. 

Wir halten an einem Birkenwald. Christophs Birkenwald. Das Abendlicht fällt schräg in das frische Blattwerk und malt Frühlingsfarben in die Luft: hellgrün und golden. Christoph streicht durch die Bäume, berührt hier einen Stamm, schaut dort in eine Krone. Die Birke, die er sucht, soll schon sprießen, darf aber noch keine entwickelten Blätter haben. Die ganze Energie muss noch im Stamm stecken. Schließlich hat Christophe ein Exemplar gefunden, zückt einen Akku-Bohrer und bohrt etwa einen halben Meter über den Wurzeln leicht schräg nach oben in den Stamm. Aus dem Loch tröpfelt flott eine klare Flüssigkeit. Voilà, sagt Christoph, schiebt einen Plastikschlauch ins Holz und hängt einen Plastik-Kanister dran – sève de bouleau. Birkensaft? Genau. Zwei oder drei Wochen lang jeden Morgen ein kleines Glas davon, zimmerwarm. Das vertreibe die Wintergeister (Grübelei, Antriebshemmung, Zukunftsängste etc) Außerdem sei man während des ganzen Jahres seltener krank, Infekte und Wunden würden schneller abheilen und man fühle sich insgesamt zum Bäume ausreißen. Er müsse es wissen, sagt Christophe, denn seit er als Teenager aus einer Felswand gestürzt sei, sich so ziemlich jeden Knochen gebrochen habe und seitdem zu einem Großteil aus Metall bestehe (mit den entsprechenden Schmerzen), gebe ihm der Birkensaft die Kraft, sich nicht zu schonen.

So viel redet Christophe normalerweise nie am Stück und ich weiß nicht, ob ich zuerst ihn oder den Baum umarmen soll. Wir probieren den Birkensaft. Er schmeckt moosig, mineralisch, nach Erde. Gar nicht schlecht.  Der Kanister hängt nun 24 Stunden an der Birke und “melkt” in dieser Zeit etwa fünf Liter. Mehr darf es nicht sein, ohne dass der Baum Schaden nimmt. Morgen Abend wird Christophe ihm einen maßgenauen Stöpsel für das Loch schnitzen, um Parasiten fern zu halten. Christophe zapft seine Bäume nur für sich, seine Kinder und ein paar Nachbarn an. In diesen Wochen sehen wir Flaschen mit Birkensaft aber auch auf Märkten und in Bio-Läden, der Liter kostet um die 10 Euro.

Wir rumpeln zurück und bekommen ein Vier-Gänge-Menü, das bis auf den Nachtisch aus Fleisch besteht. Aber wie lecker! Christophe reicht selbst gemachte Pastete als Vorspeise, es folgt hausgemachter Schinken (eingesalzen und auf der Terrasse bergluftgetrocknet). Dann ein Schweinebraten mit Kartoffeln und Möhren aus dem eigenen Garten und schließlich Erdbeeren (aus dem Supermarkt) mit cremigem Yoghurt à la Christophe.

Durch die offene Küchentür weht es mild herein, über dem Hausberg (der auch unser Hausberg ist) ziehen die Sterne auf. Bébé bekam eine gedünstete Möhre und Christophes Vollmilchyoghurt zum Abendessen und schlummert nun draußen im Kinderwagen. Gut bewacht von Christophes leicht übergewichtigen Labrador Angie (“Seht euch seine Lefzen an”, sagt er, “der Hund hat  Ähnlichkeit mit Frau Merkel”).

Wir reden, wir lachen. Wir sind zu Gast bei einem Freund. Ich glaube, der Birkensaft wirkt schon.

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2 thoughts on “Darauf einen Birkensaft

  1. Liebe Helen!
    Als sich bei mir als junger Mann das Haupthaar lichtete, versuchte ich den Rückgang mit Birkenwasser aufzuhalten. Leider ohne Erfolg.
    Einen lieben Gruß aus der Heimat!
    Dein Freund Theo

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