Cannes man hin, muss man aber nicht

Zugegeben, die Überschrift zu diesem Text ist ein bisschen billig. Aber genau so ist Cannes, unsere letzte Reisestation: sauteuer, aber geschmacklos. Luxus der billigsten Sorte. An der Croisette, der berühmten Strandpromenade, sitzen ockerfarben gebrannte Rentner und schauen abwechselnd auf ihre Rolex und in BILD. Schwer zu sagen, ob die vielen zugekleisterten Russinnen wegen der Pelzmäntel so schwitzen oder weil sie schwer an ihren künstlichen Brüsten tragen.

Bébé und ich schauen uns alles staunend an. Das Kind zieht ein o-förmiges Schnütchen, als es einen Hund im rosa “Hello-Kitty”-Mantel sieht. Zwei kleine Mädchen in identischen Outfits: Tüllröckchen, Mini-Pumps und Glitzer-Boleros: “Oh-oh!” Ein bombastischer Kinderwagen aus weißem Kunstleder fährt vorbei, auf dem in goldenen Buchstaben “Versace Young” steht: “Oh-oh-oh!” (Am Abend mache ich mir den Spaß und google den Preis: Das Ding kostet 3999 Euro). Aus Hamburg bin ich einiges gewöhnt, was dicke Autos, teure Klamotten und übersättigtes Großbürgertum angeht. Aber Cannes erschüttert mich. Auf den Stufen des klotzigen Festpalasts (hier wird alljährlich der rote Teppich für all die nicht weltbewegenden Stars ausgerollt) hocken zwei minderjährige Chinesinnen und schauen gelangweilt auf zahllose Gucci-, Prada- und Celine-Tüten, die sie um sich herum aufgehäuft haben. Klamotten und Handtaschen im Wert von bestimmt einigen tausend Euro sind halb herausgezogen und liegen durcheinander wie tote Jagdbeute.

Abgesehen von solchen Konsum-Leichen finden wir’s schön hier: Es sind 20 Grad, das Mittelmeer glitzert dunkelblau. Morgens, wenn Monsieur/Papa losgefahren ist, um durch die Unterwelt der Côte d’Azur zu kriechen, ziehen wir los: Erst zum Markt in der Altstadt, wo das Baby Händler und Kunden anflirtet und dafür viele “Bonjour, mon beau”-Rufe einheimst. Danach geht’s zum Strand, die Croisette entlang bis zur Marina, wo man anhand der fetten Motoryachten eine Liste weltweiter Steueroasen erstellen könnte: Da dümpelt “Lady Elegance”, Heimathafen Guernsey; “Taj Mahal” von den Caiman-Inseln; “Breeze of Pride” (mein Gott, was für ein Name) aus Monaco etc. Wer wie ich nicht einen  Euro für die öffentliche Toilette bezahlen will, kann hinter dem Wellenbrecher ungestört und mit tollem Meerblick pinkeln gehen.

Am Strandkiosk Nr. 9 trinke ich den ersten Kaffee, Bébé saugt seine Flasche aus und fällt umgehend in Tiefschlaf. Danach halten wir die Füße ins Mittelmeer, das Kind paniert seine Hände mit Sand und lutscht dann erstaunt, aber unerschrocken am Daumen. So vergehen die Tage. Der Kilometerstand des Kinderwagens ist sicher vierstellig. Abends wuchte ich ihn noch hinauf zum Burgberg. Dort in der Festung oberhalb von Cannes war der “Mann mit der eisernen Maske” jahrzehntelang eingesperrt. Ein versteckt gehaltener Zwilling Ludwigs XIV? Ein früher Whistleblower, der ein Staatsgeheimnis mit ins Grab nahm? Man weiß es nicht. Ein bisschen was Interessantes und Schönes (so wie die himmelblauen Mülltonnen) hat die Stadt jedenfalls doch.

Ist der Höhlenbär wieder aufgetaucht, nehmen wir im Schatten der Festung den Apéritif. So kann man Cannes gut aushalten: Bei Nacht und aus der Entfernung betrachtet, mit einem Glas Wein in der Hand.

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