Lies mal, wer hier spricht

Jetzt will ich euch auch mal was erzählen. Ich bin der, der in diesem Blog immer nur Bébé genannt wird. Dabei habe ich einen Namen! Mama und Papa sagen ihn auf tausend verschiedene Arten, wenn ich etwas gut gemacht habe, oder wenn ich dieses tun und jenes lassen soll. Ich blicke da nicht durch. Egal, man soll die Großen nicht allzu ernst nehmen. Also, was ich erzählen wollte:

Wir sind bei blauen Omis zu Besuch. Ich schlafe in einer Kapelle. Und fahre jeden Tag Trecker! Aber der Reihe nach: Mein Papa hat eine Tante, die Thérèse heißt. Sie hat viele Lachfalten um die Augen und einen Eckzahn aus echtem Gold. Thérèse und ihre Freundin Pia sind Nonnen. Sehr besondere Nonnen: Die sitzen nicht den ganzen Tag herum und beten, sondern leben mit armen Leuten, mit Kranken, Migranten oder anderen Menschen zusammen, die’s nicht so leicht haben im Leben (Mama hat schon mal davon berichtet, die Geschichte heißt “Schwesterherzen” vom 7. November 2013).

Thérèse und Pia reisen seit 40 Jahren mit Zigeunern durch Europa (sie nennen sie gens du voyage, fahrendes Volk. Das klingt viel feiner, finde ich). Bei Nonnen wie diesen Beiden ist es so, dass sie die Leute nicht davon überzeugen wollen, auch Christen zu werden. Sie wollen denen gar nichts beibringen, sondern einfach da sein, helfen, wenn es nötig ist und Freunde sein. Ich glaube, dass Thérèse und Pia das super können. Die lachen nämlich dauernd.

Den Winter verbringen Thérèse und Pia in einem Dorf in der Provence. Und da sind wir gerade! Hier haben sie zusammen mit anderen Nonnen ein großes Haus mit Garten und ein Klo, das auch im Garten ist. Es ist ein Steh-Klo. Thérèse und Pia schlafen aber nicht im Haus, sondern wie immer in ihrem Wohnwagen (Thérèse) und im Kleinbus (Pia), der den Wohnwagen zieht, wenn sie unterwegs sind.

Auf der Wäscheleine hängen blaue Röcke und blaue Pullis und blaue Kopftücher (und auch Papas Unterhosen, die gewaschen wurden und nicht alle blau sind, aber das ist jetzt nicht so wichtig). Also, alle Nonnen sind blau angezogen. Wie die Schlümpfe! Aber wenn man genau hinguckt, sieht man, dass es in Wahrheit viele verschiedene Blaus sind (oder heißt es “Blaue”? Mama wüsste das jetzt). Da ist eine Bluse so blau wie Mamas Niveau-Dose. Ein Rock so dunkel wie Papas Jeans. Und dann gibt es alle Schattierungen von himmelblau: hellblau wie kurz nach einem Regenguss, azur wie der Sommerhimmel zuhause in den Pyrenäen, lila-blau wie vor einem Gewitter. In meinem Alter liegt ja man viel auf dem Rücken und guckt nach oben. Mit Himmelfarben kenn’ ich mich echt aus.

Mama, Papa und ich wohnen in einem alten Zirkus-Wagen. Pia erzählt, dass sie vor vielen Jahren damit als Novizin unterwegs war (so heißen Azubi-Nonnen). Ich mag den Zirkuswagen, weil da drinnen alles klein ist. Vorn gibt es eine Kapelle, vielleicht zwei Quadratmeter groß. Da passt mein Reisebett rein und sonst nicht viel. Nur ein fettes, aufgeschlagenes Buch, eine Kerze und ein kleines Baby aus Ton, das Jesus heißt. Hallo, Jesus.

Im Zirkuswagen gibt es kein Wasser aus der Leitung, sondern aus einer Kanne. Eiskalt, direkt aus dem Brunnen. Ich sag’ euch, Windelnwechseln mit kaltem Waschlappen, das ist nichts für schwache Nerven.

Meine Uroma ist auch hier. Sie wohnt eigentlich woanders in Frankreich, aber jedes Jahr macht sie ein paar Wochen Ferien bei Thérèse, die ihre Tochter ist. Meine Uroma ist 91 Jahre alt. Ich bin fast 9 Monate alt. Wir haben also beide eine 9 als Alter, und genau wie ich kann sie nicht richtig laufen und hat ganz weiche Haare. Wenn ich ihr die Brille von der Nase pflücke, lächelt sie. Am meisten spiele ich mit Pia. Die ist erst 81. Sie fährt mit mir Trecker, das könnt ihr auf dem Foto unten sehen. Wir drehen viele Runden durch den Garten und lachen uns kaputt. Pia ist ‘ne Granate. Fast hätte sie mir ein Stück Blaubeerkeks gegeben. Das hat Papa leider im letzten Moment verhindert und behauptet, Mama wolle nicht, dass ich Zucker esse oder so. Da fühlte sich Mama als preußische Spielverderberin hingestellt und war wütend auf Papa. Meine Güte, es war doch nur ein Keks! Die haben vielleicht Sorgen.

Und dann passierte noch was Aufregendes: Hier ist eine schwarze Nonne. Also, sie ist auch blau wie die anderen, aber ihre Haut ist schwarz. Sowas hatte ich noch nie aus der Nähe gesehen. Sie kommt aus Ruanda. Ruanda, Ruanda! Wie schön das Wort über die Zunge rollt, von vorne nach hinten. Ich rufe es laut und gestikuliere dazu. “Oh, er hat baba gesagt”, meint Mama. Sie muss taub sein, denn ich habe eindeutig Ruanda gesagt. Mit den Großen muss man phonetisch überkorrekt sprechen, sonst begreifen sie’s nicht. Jedenfalls nahm mich die schwarze Nonne auf den Arm und ich habe sie ins Ohr gezwickt, um herauszufinden, ob sich ein schwarzes Ohr anders anfühlt als ein rosafarbenes. Tut es nicht. Ohr ist Ohr. Mensch ist Mensch. Ist doch ganz einfach! Das sagen Thérèse und Pia auch immer.

So, das war’s von mir. Tschüss, euer Bébé.

Foto 5

Foto 3

Guckt mal, dieses Foto (unten) wollte ich euch auch noch zeigen: Da sitzt vor dem Zirkuswagen links Thérèse als junge Nonne. Der kleine Typ auf ihrem Schoß ist mein Papa. Daneben sitzt seine Mama (meine Oma und Thérèses Schwester) mit meinem Onkel J. Er muss seitdem viele Blaubeerkekse und andere Sachen gegessen haben, denn heute ist er fast zwei Meter groß und sehr stark.

Foto 2

4 thoughts on “Lies mal, wer hier spricht

  1. So wunderbar! Bebe ist zauberhaft und ich weiß genau, diese Augen auf Kinderbildern kenn ich. Meine Güte Helen…is echt deiner , der Süße!!!

  2. Lieber Ernest, bitte sag deiner wunderbaren Mama und deinem wunderbaren Papa, dass du UNBEDINGT ein Buch schreiben solltest. Du zauberst mir und P. ein Lächeln auf die Lippen, das gar nicht mehr verschwinden will. Ich verspreche dir viele Blaubeer-und sonstige Kekse. Ehrenwort!

  3. Mein liebes Bebe,
    Was Du da mit den jeans-, nivea- und azurblauen Tanten erleben darfst, ist doch einmalig. Du bist schon jetzt ein Glückspilz. Ist es nicht toll, dass die Nonnen so oft lachen und fröhlich sein können, obwohl sie gar nicht viel Geld haben und statt dessen nicht für sich selbst, sondern fast nur für andere Menschen da sind?
    Mein Süßer, auch du beglückst Deine Umwelt mit Deinem Lachen. Freu Dich mit uns auf die Zukunft.

  4. Liebe Helen!
    Gestern war ich auf einer Einladung Nachbar Deines Vaters. Er hat mir viel von seiner Helen erzählt. Und Du bist auch meine Helen . Dein alter Freund ist inzwischen hochbetagt, aber noch gut beieinander. Mit Begeisterung habe ich Deine Berichte in Deinem Internetarchiv gelesen, Du schreibst so schön, dass man dauernd schmuzeln muss. Und da meine Frau gerade am Auge operiert wurde, musste ich ihr die Geschichten erneut vorlesen.
    So freuen wir uns auf die Fortsetzungen Deiner Berichte und grüßen Dich, Deinen Partner und Bebe ganz herzlich aus Coesfeld.
    Waltraut und Theo Vahlmann

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