Letzte Ernte

Wir hingen ein paar Tage in den Wolken; es stürmte und nieselte bei etwa 17 Grad – der Herbst macht hier auf lauwarme Waschküche. Auf den Höhen ist aber ordentlich Schnee gefallen, in der Ferne leuchtet der Pic du Midi ganz in weiß. Kein Zweifel, dass sich der Sommer sehr bald sonst wohin verkriecht. Darum hier noch eine schnelles sommerliches Rezept als Foto-Story, quasi als letzter Gruß aus der Küche, bevor wir die schweren Sachen auftischen (Danke an C. für die Idee!) Außerdem wollte Monsieur mal ausprobieren, ob er auch “food” kann. Er kann, n’est-ce pas?

Man folge also den Bildern: Feigen pflücken (am Baum oder im Supermarkt), klein schneiden. Blätterteig in gebutterte Formen legen. Feigenstücke, Ziegenkäse und Crème fraîche dazu. Salzen und pfeffern, Teigtasche schließen. Dann bei 150 Grad im Ofen backen. Tut’s wunderbar als Vorspeise. Wir haben dazu einen Jurançon  getrunken, einen kräftigen, süßen Weißwein, der nicht weit von hier westlich von Pau wächst. Süß gilt ja in Deutschland oft als billig und bäh. Ist falsch. In Maßen und zum richtigen Essen schmeckt er wie flüssige Sonne.

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Schwesterherzen

Unseren Hügel herauf kommen zwei Nonnen in blauer Tracht. Die eine, Thérèse, 66 Jahre, geht in ihren Flip-Flops wie eine junge Frau. Die andere, Pia, steigt bedächtig an. Sie wird bald 80.

Thérèse ist die Tante meines Mannes und das wohl schillerndste Mitglied in dieser nicht ganz langweiligen Familie. Sie wusste als junge Frau nicht wohin mit ihrer Energie, der Abenteuerlust, dem nicht zu bändigenden Verlangen, auszubrechen und die Welt zu sehen. Auf alten Fotos sehe ich ein schlankes, starkes Mädchen mit grazilen Händen und einem schweren schwarzen Zopf, der ihr bis zur Taille reicht. Sie hatte damals schon diesen glasklaren Blick, der fast ein bisschen zu intensiv ist. Hungrig. Wer so schaut, wird Revolutionär, Partisanenkämpfer, Dichterin. Thérèse wurde Nonne. Sie trat mit Anfang 20 den “Petites Soeurs de Foucauld” bei, den kleinen Schwestern des Foucauld. Ein paar Worte zu diesem Tausendsassa:

Charles Eugène Baron von Foucauld (1858-1916) war Offizier der französischen Armee, Forschungsreisender, Kenner des Islam und des Judentums. Er durchquerte die Sahara zu Fuß und schrieb ein Wörterbuch der Sprache der Tuareg; seine Sammlung traditioneller Fabeln und Gedichte der Sahara-Nomanden gilt heute noch als Standardwerk. Inspiriert von der tiefen Gläubigkeit der Muslime suchte Foucauld nach dem christlichen Gott, zog als Eremit in die Nähe von Nazareth, wurde dann katholischer Priester und saß fortan schreibend und meditierend auf einem 2700 Meter hohen Berg in Algerien, damals französische Kolonie. Während des Ersten Weltkriegs wurde er von Tuareg erschossen, die ihn der Spionage verdächtigten. So gehen die Lebensgeschichten von Heiligen (selig ist er bereits).

Es gibt eine Hand voll Ordensgemeinschaften, die sich auf Foucauld beziehen, so auch die der jungen Französin Magdeleine Hutin, die Anfang der 1930er Jahre in Algerien eigentlich nur ihre Tuberkulose kurieren wollte, dann aber blieb, um mit verarmten Nomaden durchs Land zu reisen. Hutin gründete 1939 die “Kleinen Schwestern”, dessen wichtigste Ordensregel es ist, mit den Menschen am Rande der Gesellschaft zu leben. Mit Fabrikarbeiterinnen, Flüchtlingen, fahrendem Volk, mit den Armen. Es sind Nonnen, die zupacken. Deshalb tragen sie blau, blau wie die Kluft der Arbeiter. Heute gibt es weltweit etwa 2000 Kleine Schwestern.

Thérèse und Pia reisen seit 40 Jahren mit einigen Dutzend Roma-Familien durch Frankreich, gelegentlich auch durch Europa. Sie machen die Arbeit, die die Roma machen: Wein und Äpfel ernten, Körbe flechten, Handlanger-Jobs beim Zirkus. Es gibt in Frankreich ein Gesetz, nach dem jede größere Gemeinde einen Lagerplatz für Roma und “gens de voyage” (fahrendes Volk) zur Verfügung stellen muss. Doch oft wird diese Regelung nicht eingehalten. Spätestens seit Sarkozy ist es populär, gegen die Roma zu hetzen. Ihre Plätze sind häufig verschlossen, verdreckt oder so schwer zugänglich, dass sie mit ihren Lastern nicht hinkommen. Dann vermitteln Thérèse und Pia. Eine Nonne schmeißt auch der rechtsextremste Dorfbürgermeister nicht einfach so raus.

Sie wollten ein spirituelles, geistig reiches Leben führen, erzählen sie. Aber dabei nicht betend in einem langweiligen Kloster hocken, fern von der Welt und dem wahren Leben. Ihr Zuhause ist ein Kleinbus mit Wohnwagen. Thérèse wohnt im Wohnwagen, Pia im Bus; Thérèse fährt das Gespann, Pia liest die Karte. Strom kommt aus einer Solarzelle oder per Landkabel, Wasser holen sie in alten Milchkannen. Thérèse hat aus einer Pool-Telestange eine Fernsehantenne gebaut, die sie während der Fahrt einziehen kann. Ihr Bett ist nicht breiter als 50 Zentimeter und nur fast so lang wie sie selbst, um Platz für die Kapelle und den Vogelkäfig mit ihren zwei Tauben zu lassen. Den Blackberry teilen sie sich.

Die Beiden verbringen zwei Tage mit uns, langen beim Essen kräftig zu, unterhalten Bébé, so dass er vor Vergnügen quietscht. Sie schenken uns Wein, dessen Trauben sie selbst geerntet haben. Zwei Brüder von Pia laden uns auf ihre Landsitze ein (dazu später mehr). Jedes Mal, wenn wir weiterfahren, muss ich zum Auto sprinten, damit Pia nicht auf dem Notsitz im Kofferraum Platz nimmt. Eine Achtzigjährige im Kofferraum, das kann ich nicht zulassen und zwänge ich mich vor ihr rein. Pia protestiert. Das einfache Reisen sei ihr das bequemste.

Sie erstaunen mich, diese beiden Frauen: Frisch sind sie, braun vom Leben draußen, geistig voll auf der Höhe, oft zum Schreien lustig. Sie sind weit weniger aufopferungsvoll als ich es von einer Nonne erwartet habe. Demütig? Keine Spur. Es sind stolze Frauen, zuweilen dickköpfig (Pia über Thérèse) und herrisch (Thérèse über Pia). Ja, sie leben genau das Leben, das sie immer wollten; können Abenteuerinnen, Diplomatinnen, Geburtshelferinnen, Lehrerinnen, Bäuerinnen und Reisende zugleich sein. Das Ganze in einem gesellschaftlich anerkannten Rahmen. Was für ein eleganter Weg! Vielleicht war es Mitte der 1960er Jahre, als sie einander kennenlernten, auch die einzige Möglichkeit für zwei Frauen, in Ruhe miteinander zu leben? Thérèse, älteste Tochter von Kleinbauern aus der Normandie. Und Pia, aus adliger, hochgebildeter Familie in Südfrankreich. Ich habe noch viele Fragen an die Beiden. Man muss ein Buch über sie schreiben.

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Kleine Philosophie des Kreisverkehrs

Zunächst eine Entschuldigung für die längere Schreibpause. Nein, halt! Ich muss mich nicht entschuldigen, schließlich soll das hier Spaß machen, ich bin ja ein Elternteil in Elternzeit und zu nichts außer Bébé verpflichtet. Eigentlich. Aber so ein Blog ist doch auch ein bisschen wie ein Baby. Schafft man sich eins an, will es gefüttert und gehätschelt werden. Pause machen, Luft holen, auf Standby schalten – geht nicht. Blogs und Babys sind Daueraufträge. Womit wir bei meiner Entschuldigung, pardon, meiner Erklärung angekommen wären, weshalb hier eine Woche lang nichts Neues geschrieben stand.

Bébé hatte Durchfall. Für Nichteltern: Man erhöhe den normalen Bedarf an Windeln, Aufmerksamkeit, Herumgetragen-werden-wollen und Popocreme um 100 Prozent, addiere die muttertypische Dauersorge (hat das Kind einen Virus? Eine Allergie? Ist es, als Stillkind, alkoholvergiftet von meinen drei Schlückchen Châteauneuf-du-Pape?) und multipliziere das Ganze mit ein paar stark unterbrochenen Nachtruhen. Ergebnis: Mama Zombie. Sie kann noch einigermassen geradeaus sprechen, denkt aber in Schlangenlinien und schreibt – besser nicht.

Dabei ist es nicht so, dass ich nicht ans Schreiben gedacht hätte. Ich hatte eine Idee für eine  kleine Geschichte, die in der Normandie spielt. Dort waren Monsieur, Bébé, der Durchfall und ich gerade in den Ferien. Wir wohnten bei meinen Schwiegereltern, die ein furzgemütliches Bauernhaus haben, mit offenem Feuer in der Küche und einem Esel im Garten. Man kann drumherum endlos durch die Felder spazierengehen, die Kulisse ist immer gleich: Kühe, Apfelbaum, Kühe, Birnbaum, Kühe… Mit einer interessanten Ausnahme an der Kreuzung zweier Landstrassen: “Le rond-point Georges” (wörtlich: der runde Punkt), der Kreisverkehr von Georges. Darüber wollte ich schreiben.

Georges ist irgendwas über 80 und wohnt allein in einem schiefen Steinhaus. Mehr als 30 Jahre lang hat er den Kreisverkehr dekoriert. Eine Eiche in die Mitte gepflanzt, darunter mal einen Stuhl mit Leselampe gestellt, mal ein Surfbrett angelehnt. Es hingen Blechkunstwerke in den Zweigen, zu Weihnachten blinkten alte Autoscheinwerfer. Der Kreisverkehr war immer anders, immer phantasievoll und immer einen Spaziergang wert, von dem wir schmunzelnd zurückkamen. Diesmal nicht.

Der Kreisverkehr ist weg. Eine Nachbarin fand, Georges runder Punkt sei eine Müllhalde. Sie ließ einen Trecker kommen, die Eiche fällen und alles abräumen. Übrig sind tiefe Reifenspuren im Matsch, wie Kratzwunden. Georges ist zu alt und zu krank, um wieder von vorn anzufangen. Was wird er jetzt ohne seinen Kreisverkehr machen, um den er sich kümmern kann? Und weiß diese kunstverachtende, missgünstige, tropfnasige Nachbarin, dass man für so eine Aktion direkt und ohne Umleitung in die Hölle einfährt? Sie ist obendrein Engländerin, une Anglaise, wie die Leute aus der Bauernschaft sagen, als hätten sie in einen frischen Kuhfladen getreten. Hier in Nordfrankreich weiß man seit Jahrtausenden, dass von gegenüber des Kanals nichts Gutes kommt. Liebe Engländer, dank dieser dursleyhaften* Schreckschraube habt ihr es euch nun endgültig verscherzt!

Und Georges selbst? Er ist nicht nur Kreisverkehrkünstler, sondern auch Philosoph. Die Dinge kommen und gehen, sagt er. So wie Bébés Durchfall.

*Petunia Dursley ist die engstirnige, putzsüchtige und gefühlskalte Tante von Harry Potter in den von mir sehr geliebten Romanen.

 

 

 

When too perfect, lieber Gott böse

Gestern Abend telefonierte ich mit S. S. ist ein von mir sehr geliebter, kritischer Geist. Was ich aus Frankreich berichte, sei alles ganz wunderbar. Zu wunderbar, sagte S. Wenn das ein Jahr lang so weiterginge, würde sie sich langweilen und die anderen Leser auch. Immer dieser blaue Himmel, immer diese Genüsse, es sei unerträglich. Das erinnert mich an den Spruch des koreanisch-amerikanischen Künstlers Nam June Paik, der in München studiert hat und deshalb den schönen denglischen Satz prägte: “When too perfect, lieber Gott böse.” Ich habe zwar nicht den Eindruck, dass mir irgendeine höhere Macht gerade gram ist. Aber man weiß ja nie. Vorsichtshalber folgt daher nun eine Top-5-Negativliste meines aktuellen Lebens. Voilà.

1. Mir fallen die Haare aus. Sie sind überall: auf den Fliesen im Bad, in den Abflüssen, im Bett, auf meinen Pullovern, selbst in Bébés Windeln. Sie fallen mir strähnchenweise aus, Geheimratsecken rücken unaufhaltsam meine Stirn hinauf. Der klägliche Rest meiner Haare ist fisselig und schlapp. Das ist nach einer Schwangerschaft völlig normal, weiß das Internet und tröstet mich damit überhaupt nicht.

2. Gestern Abend ging die Schermaschine kaputt, mit der Monsieur die Wiese rodet. Das Monstrum ist nun beim Landmaschinenfachmechaniker und nur er und der Himmel wissen, was die Reparatur kosten wird.

3. Monsieur hat vergessen, seine BahnCard abzubestellen. Wir schenken der Deutschen Bahn nun 250 Euro für ein ganzes Jahr Nichtbahnfahren.

4. Die Franzosen nerven. Beispiel: Ich gehe in einen Haushaltswarenladen, um einen neuen Filter für unseren Dunstabzug zu kaufen. Unverschämterweise betrete ich das Geschäft, ohne den französischen Fachausdruck für Dunstabzugshaubenfilter zu kennen. Die Verkäuferin lässt mich meinen Fehler spüren, denn auf meine Umschreibungen reagiert sie mit einem erstaunten, spöttischen Gesicht. “Ça n’existe pas”, so etwas existiert nicht, sagt sie. Und was nicht existiere, führe der Laden nicht. Doch, flehe ich, bestimmt haben Sie so was auch in Ihrer Küche, es ist wirklich ein simples Allerweltsteil… Non, sagt sie. Ça n’existe pas. Frankreich ist sprachliche Monokultur, hier gedeiht nichts außer perfektem Französisch, und sie düngen es mit Arroganz.

5. Bébé besteht auf seinem Drei-Stunden-Stillrhythmus, den er seit Geburt eisern einhält. Auch nachts. Daran ändert das kleine Mittagessen aus Kartoffel-, Süßkartoffel- oder Kürbispüree rein gar nichts, das er seit Neuestem zu sich nimmt und in das ich große Hoffnungen gesetzt hatte. Ich schlafe also immer noch nicht durch und bin daher des öfteren unkonzentriert, übellaunig und uninspiriert.

Zufrieden, liebe S.?

Entenparade

Guck mal, ‘ne gelbe Ente da vorn, sage ich zu Monsieur. Oh, noch eine. Und noch…!? Auf der A64 zwischen Tarbes und Pau überholen wir einen Transporter mit lauter kükengelben Citroen 2CV, Frankreichs bekanntestem Auto.  Wo will sie hin, diese Entenparade? Zu einem Oldtimer-Treffen der französischen Post, sagt Monsieur. Nein, es handelt sich ganz klar um die Sammlung eines exilierten FDP-Mitglieds, entgegne ich. Alles falsch, meint wiederum Monsieur – es ist die Flotte eines Entenrennstalls, berühmt für seine Erfolge bei der Rallye Paris-Marseille. Wir probieren noch weitere Theorien aus, keine ist so richtig schlüssig. Ich versuche den Lkw-Fahrer anzublinzeln, auf dass er mir irgendeinen Hinweis gebe. Umsonst, er schaut dumpf geradeaus. Wenige Kilometer weiter dann ein zweiter Transporter – mit gelben Enten. Die Welt ist doch ein großes Rätsel.

Ententransport

Ein Tag am Meer

Strandwetter in Biarritz, weissagte gestern das Lokalblatt. Wir also hin, man fährt über die (sauteure) Autobahn gute zwei Stunden zum Atlantik. Ergebnis siehe unten. Muss ich viel mehr sagen…? Biarritz ist eine Fototapete in Kitsch-Farben, da kann auch der nüchternste Fotograf nicht anders, als begeistert drauf halten: Auf die pompöse Bäderarchitektur, die spektakuläre Strandpromenade, die im großen Halbrund über die Klippen führt. Und auf die Surfer, die ständig durchs Bild laufen. Bébé döst in seinem Wagen und wir werfen uns abwechselnd in die reichlich sportliche Brandung. Ich versuche mir von ein paar älteren Französinnen abzuschauen, wie man elegant durch die Wellen kommt, ohne durchgeschleudert zu werden. Es gelingt nicht.

Gegen Abend breitet sich am alten Hafen diese besondere Zufriedenheit aus, die einen nach einem Tag voller Licht und Wärme überkommt. Es ist Nachsaison, die Einheimischen sind entspannt. Man rollt in Ruhe seine Handtücher auf, freut sich wohl schon auf ein Glas Wein, auf eine Dusche. Alles schaut andächtig aufs Meer hinaus, wo die Surfer ihre Vorstellung geben; sie spielen im blauen Dunst wie Seehunde. Langsam zerstreut sich dann das Publikum,  die Badetuch-Nachbarn geben einander die Hand, Küsschen links, Küsschen rechts. Dann nehmen sie ihre Schuhe, laufen barfuß die Stufen zum Marktplatz hoch und rufen “à demain”, bis morgen.

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Kröte, verzweifelt gesucht

Wo ist Karlchen? Bis vergangenen Sonntag tauchte er zuverlässig gegen 22 Uhr auf der Terrasse auf, schlich um die Geranientöpfe herum und saß dann einfach so da. Märchenhaft hässlich. Stumm wie ‘ne Kröte. Und jetzt kommt er einfach nicht mehr! Liegt es daran, dass wir ihm alternative Namen anprobiert haben? Egon erschien uns passend, auch Friedhelm. Jedenfalls was Deutsches. Oder kann sich jemand vorstellen, so ein urzeitliches Prachtstück Jerôme, Gilles oder Frédéric zu rufen? Eben. Viel zu weich. Also, liebes Karlchen, wir wollten Sie doch nicht beleidigen! Ich nehme ebenfalls alles zurück, was ich  über Ihre Pocken und das komische Geblubber an Ihrem Hals gesagt haben mag, und niemals, wirklich NIEMALS würde ich Sie gegen die Gartenmauer werfen, denn erstens habe ich ja schon zwei Prinzen (einen großen und einen kleinen) und zweitens funktioniert das nur mir Fröschen, weiß doch jedes Kind. Also, verehrter Herr Kröterich, wagen Sie sich nur wieder hervor, wir vermissen Sie. Mit wärmsten Grüßen, Ihre Terrassenmitbewohner.

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Pantoffelzeit

Über Nacht hat unser Hausberg, der 1912 Meter hohe Cagire (sprich: Kah-schier), eine Mütze aus Schnee bekommen. Der Herbst ist da! Naja, was man hier im Tal so Herbst nennt: Tagsüber sind es immer noch 20 Grad und mehr, die Wäsche dampft auf der Leine in kürzester Zeit trocken und ich turne zwei Mal täglich durch den Feigenbaum, weil die Feigen jetzt so schnell reifen, dass man dabei zusehen kann. Bisher haben wir daraus Feigenmarmelade, Feigentarte, Feigensenf und karamellisierte Feigen (jaa, mit Vanilleeis!) gemacht. Wem noch mehr einfällt, möge sich schleunigst melden, bevor wir (oder der Baum) unter der süßen Last zusammenbrechen.

Trotzdem tun wir so, als würde es bald Winter und sorgen vor. Monsieur hat zehn Kubikmeter Kaminholz bestellt, allerschönste Eiche. Was für eine Verschwendung, sage ich. Sollte man daraus nicht besser Stühle und Schränke für die Ewigkeit zimmern…? Aber die Pyrenäen sind nun mal verschwenderisch dicht mit Eichenwäldern bewachsen, es ist das billigste Holz hier. Hoffentlich brennt es auch eine halbe Ewigkeit.

Herbstvorsorge Teil 2: Wir fahren zu Patrick, dem Kürschner. Ich hatte ihn letzte Woche auf einem Markt kennengelernt und zwei Paar Fellpuschen bestellt, naturweißer Plüsch mit Kautschuksohle. Patrick und seine Frau Sylvie haben nicht weit von uns ein Holzhaus mitten in die Landschaft gestellt. Unten ist das Atelier, oben wohnen sie mit zwei Teenagern. Patrick ist in jungen Jahren durch Frankreich gereist und hat Rock- und Chansonbands mit Lederklamotten und Accessoires ausgestattet. Dann lernte er Sylvie kennen, sie lockte ihn aus seinem Nomandenleben in die Pyrenäen. Es wurde Zeit, “was Vernünftiges” zu machen, wie Patrick erzählt. Das war vor 30 Jahren. Seitdem handarbeiten er und Sylvie Pantoffeln, Westen, Mützen und Teddys aus Schaffell (sorry, liebe Rechtschreibreformer, ich kann das einfach nicht mit drei “f” schreiben, das sieht doch aus wie orthografische Schafsch…). Patrick erfindet die Schnittmuster und schneidet die Felle zu, Sylvie näht und stickt Teddyaugen, Teddynasen und Pantoffel-Deko. Beide tragen eine bunte Feder im Haar, “anstelle von Eheringen”, sagt Patrick. “Sylvies Feder ist länger als meine, weil sie der Boss ist.” Woraufhin der Boss heftig protestiert, ihren Mann dabei aber strahlend anlächelt.

Geld hat die Beiden nie besonders interessiert (wer mehr über Schaf- Schaffell- und Pantoffelpreise wissen will, lese die Fußnote*) Es reiche halt für ein gutes Leben, sagt Patrick. Jetzt im Herbst ist Pantoffel-Hochsaison und Patrick und Sylvie haben gut zu tun; aber im absatzschwachen Frühjahr, nach der Pantoffel- und vor der Touristensaison,  verbringen sie die Tage mit Lesen, mit Gartenarbeit, miteinander.

Je mehr die zwei Pantoffelmacher erzählen, desto mehr mag ich sie und ihr kruschteliges Haus. Nach gut zwei Stunden verabschieden sie uns mit einer Tüte Tomaten aus dem Garten, einem Teddy für Bébé und einer Einladung zum Mittagessen. Patrick will in den nächsten Wochen noch ein langfloriges Fell für Bébés Kinderwagen besorgen und schwört, dass Babys auf Naturfellen besser schlafen und überhaupt insgesamt glücklicher sind. Na dann. Der Herbst kann kommen.

*Ein lebendes Schaf kostet in dieser Gegend etwa 200 Euro. Dessen rohe Haut ist etwa fünf Euro wert. Für ein aufbereitetes Fell zahlen Patrick und Sylvie etwa 30 Euro pro Stück, aus dem dann sechs bis zehn Paar Pantoffeln werden, die je nach Größe zwischen 18 und 39 Euro kosten. Wie viele Paare Patrick und Sylvie im Jahr verkaufen, können sie nicht genau sagen, es sind wohl einige Hundert.

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Unter Ökos

Zwei Täler von uns entfernt, in Arbas, trafen sich am Wochenende die Bio-Vertreter der Region. Die Stände waren rund um das Rathaus aufgebaut, von dessen Dach ausnahmsweise nicht die Trikolore, sondern ein Banner mit gemaltem Obst und Gemüse wehte. Viel junges Volk war da, in Gummistiefeln, mit seltsamen Hüten, bunten Klamotten und deutschen “Atomkraft, nein Danke”-Stickern auf den Rucksäcken. Bio ist hier noch Avantgarde und Sache einer hippieesken Minderheit.

Neben chemiefrei erzeugtem Grünzeug, Brot, Käse und Honig gab es zu bestaunen: Waschmaschinen mit Fahrradantrieb, Öko-Klos mit Torf/Bakterien-“Spülung”, eine Pflanzenapotheke, pflanzlich gefärbte Wolle von glücklichen Schafen, Fellpantoffeln aus glücklichen Schafen mit Naturkautschuk-Sohle. Ich bestelle zwei Paar aus lockigem Fell, die der Kürschner erst noch nähen muss und verabrede mich mit ihm für nächste Woche in seinem Atelier.

Was noch? Eine Art “Bank” mit alternativem Geld. Interessante Sache, die es in ganz Frankreich unter dem Namen SEL gibt (Système d’Echange Local): Die Mitglieder handeln mit Waren und Dienstleistungen auf Basis einer Fantasie-Währung. In dieser Gegend ist das der “Cagire” (so heißt auch der hiesige höchste Berg). 1 Cagire entspricht einer Minute Arbeitszeit. Wenn also beispielsweise Antoine eine Stunde lang Michelles Rasen mäht, hat er 60 Cagire verdient. Dafür macht dann Michelle eine Stunde lang Gilles abgestürzten Computer wieder flott, wofür sie wiederum ihr Kleinkind für 60 Minuten bei Céline parkt usw. Vielleicht wäre das ja DIE Lösung für die Euro-Krise?! Manche der Ökos hier meinen das durchaus ernst.

Während ich noch überlege, ob ich hier und jetzt Mitglied werden soll (1000 Cagire Startguthaben!), parliert Monsieur mit einem freundlichen Jean, der aus Kalk, schwarzer Seife und Farbpulver keramikartige Fußböden, Badewannen und Oberflächen herstellt.  Eine alte Technik aus Marokko, erklärt er. Reines Naturprodukt, wasserdicht, langlebig, hautschmeichelnd. Und tatsächlich fühlt sich das Zeug wunderbar an, wie ein polierter Flusskiesel. Man möchte sich drauf  rollen.

Gegen Nachmittag setzt dann eine Rock-Band der Idylle die Krone auf. Die Jungs spielen Hardrock, als wären wir das wichtigste Publikum der Welt. Ein Regenschauer lässt sie völlig kalt, nur der Mann am Mischpult bekommt eine Plane übergezogen, gehalten von zwei Besenstielen. Dazu turnt ein Mensch im blauen Schlafanzug durch die Menge, um eine Modenschau anzukündigen (man sieht ihn in der Mitte des Fotos, gleich unter dem Pappschild, das auf eine Wickelecke hinweist). Das defilée zeigt Selbstgenähtes, Selbstgehäkeltes, Selbstgefärbtes; ein als Bauernbraut und Bauernbräutigam verkleidetes Pärchen führt die Kollektion an. Dazu kreischen die E-Gitarren immer härter, der Sänger brüllt ins Mikro, natürlich auf Französisch. Bébé fasst es kaum und macht Kulleraugen. Es ist alles wunderschön.

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