Kleine Philosophie des Kreisverkehrs

Zunächst eine Entschuldigung für die längere Schreibpause. Nein, halt! Ich muss mich nicht entschuldigen, schließlich soll das hier Spaß machen, ich bin ja ein Elternteil in Elternzeit und zu nichts außer Bébé verpflichtet. Eigentlich. Aber so ein Blog ist doch auch ein bisschen wie ein Baby. Schafft man sich eins an, will es gefüttert und gehätschelt werden. Pause machen, Luft holen, auf Standby schalten – geht nicht. Blogs und Babys sind Daueraufträge. Womit wir bei meiner Entschuldigung, pardon, meiner Erklärung angekommen wären, weshalb hier eine Woche lang nichts Neues geschrieben stand.

Bébé hatte Durchfall. Für Nichteltern: Man erhöhe den normalen Bedarf an Windeln, Aufmerksamkeit, Herumgetragen-werden-wollen und Popocreme um 100 Prozent, addiere die muttertypische Dauersorge (hat das Kind einen Virus? Eine Allergie? Ist es, als Stillkind, alkoholvergiftet von meinen drei Schlückchen Châteauneuf-du-Pape?) und multipliziere das Ganze mit ein paar stark unterbrochenen Nachtruhen. Ergebnis: Mama Zombie. Sie kann noch einigermassen geradeaus sprechen, denkt aber in Schlangenlinien und schreibt – besser nicht.

Dabei ist es nicht so, dass ich nicht ans Schreiben gedacht hätte. Ich hatte eine Idee für eine  kleine Geschichte, die in der Normandie spielt. Dort waren Monsieur, Bébé, der Durchfall und ich gerade in den Ferien. Wir wohnten bei meinen Schwiegereltern, die ein furzgemütliches Bauernhaus haben, mit offenem Feuer in der Küche und einem Esel im Garten. Man kann drumherum endlos durch die Felder spazierengehen, die Kulisse ist immer gleich: Kühe, Apfelbaum, Kühe, Birnbaum, Kühe… Mit einer interessanten Ausnahme an der Kreuzung zweier Landstrassen: “Le rond-point Georges” (wörtlich: der runde Punkt), der Kreisverkehr von Georges. Darüber wollte ich schreiben.

Georges ist irgendwas über 80 und wohnt allein in einem schiefen Steinhaus. Mehr als 30 Jahre lang hat er den Kreisverkehr dekoriert. Eine Eiche in die Mitte gepflanzt, darunter mal einen Stuhl mit Leselampe gestellt, mal ein Surfbrett angelehnt. Es hingen Blechkunstwerke in den Zweigen, zu Weihnachten blinkten alte Autoscheinwerfer. Der Kreisverkehr war immer anders, immer phantasievoll und immer einen Spaziergang wert, von dem wir schmunzelnd zurückkamen. Diesmal nicht.

Der Kreisverkehr ist weg. Eine Nachbarin fand, Georges runder Punkt sei eine Müllhalde. Sie ließ einen Trecker kommen, die Eiche fällen und alles abräumen. Übrig sind tiefe Reifenspuren im Matsch, wie Kratzwunden. Georges ist zu alt und zu krank, um wieder von vorn anzufangen. Was wird er jetzt ohne seinen Kreisverkehr machen, um den er sich kümmern kann? Und weiß diese kunstverachtende, missgünstige, tropfnasige Nachbarin, dass man für so eine Aktion direkt und ohne Umleitung in die Hölle einfährt? Sie ist obendrein Engländerin, une Anglaise, wie die Leute aus der Bauernschaft sagen, als hätten sie in einen frischen Kuhfladen getreten. Hier in Nordfrankreich weiß man seit Jahrtausenden, dass von gegenüber des Kanals nichts Gutes kommt. Liebe Engländer, dank dieser dursleyhaften* Schreckschraube habt ihr es euch nun endgültig verscherzt!

Und Georges selbst? Er ist nicht nur Kreisverkehrkünstler, sondern auch Philosoph. Die Dinge kommen und gehen, sagt er. So wie Bébés Durchfall.

*Petunia Dursley ist die engstirnige, putzsüchtige und gefühlskalte Tante von Harry Potter in den von mir sehr geliebten Romanen.

 

 

 

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