Frankreich ist keine Insel

Mein Mann steckt derzeit in den weit verzweigten Kalksandsteinhöhlen nahe Bordeaux. Das kann Wochen dauern. So weit, so normal.

Ich bin mir angesichts des Wahlerfolgs der Rechtsextremen in Frankreich allerdings nicht sicher, ob er diesmal nicht deutlich länger da unten bleibt. Denn Monsieur möchte vor Scham buchstäblich im Boden versinken, weil 25 Prozent seiner Landsleute bei der Europa-Wahl Marine le Pens giftigen Köder geschluckt haben, der nach einem endlich-wieder-stolzen Frankreich schmeckt, für die Franzosen, von den Franzosen. Täätää! Ohne Brüssel, ohne Ausländer und ohne den Pariser Filz aus Politik, Geld und Medien.

Bei uns im Dorf haben die meisten Leute für die Sozialisten oder die Grünen gestimmt (die Gegend ist eine alteingesessene Hippie-Hochburg), aber dennoch 22 Prozent für den Front National. Dabei haben die meisten hier noch nie einen Ausländer gesehen (außer mir und Bébé, aber der zählt nicht, weil er ja nur ein halber Ausländer ist). Es will mir einfach nicht in den Kopf, was diese Leute sich denken. Was soll der Mist: Wollt ihr ernsthaft wieder euren Pass zeigen, wenn ihr die dreißig Kilometer rüber nach Spanien zum Skifahren oder Sonnenbaden fahrt? Und wieder den Franc einführen, der das Land mit noch mehr Karacho in die Rezession sausen lassen wird als das ohnehin der Fall ist? Und was wird le Pens Rassismus wohl gegen die Arbeitslosigkeit ausrichten, hm?!

Monsieur wird nicht müde zu erklären, dass solche Überlegungen für FN-Wähler keine Rolle spielen. Entscheidend sei ihr Gefühl, all das NICHT zu wollen, was derzeit im Land passiert. Nein zur Homo-Ehe, nein zum Wahlrecht für EU-Bürger, nein zu Immigranten, nein zu Moscheen, nein zur politischen Klasse (nein zu schlechtem Wetter, zu verfaultem Camembert, zu Schwiegermutterbesuch…)

Der FN-Wähler fühlt sich von Globalisierung, konkurrierenden Märkten, Bildungs- und Technologiewettkampf überfordert. Dabei hatte er doch damals im Geographie-Unterricht gelernt, dass Frankreich eine Insel sei und von solchen Unannehmlichkeiten für immer und ewig verschont bliebe. Und jetzt auch noch diese galoppierende Anglisierung! Ze wörld spieks Inglish. Was für eine Kränkung. Da kann man ja nur wütend los kreischen: Non, non, non!

Ganz ähnlich reagiert übrigens Bébé, wenn er überdreht und übermüdet ist und ihm die Welt plötzlich allzu groß und bedrohlich erscheint. Bietet man ihm in dieser Stimmung sein Abendessen an, passiert folgendes: Nudeln? Paff, fliegen auf den Boden. Gekochte Möhrchen? Bäh, will ich nicht! Vollkornbrot, selbst gebacken. Apfel-Mango-Püree. Lecker Gurke. Kopfschütteln, wütendes Gekreisch. Nein! Will ich nicht, will ich nicht, will ich nicht.

Der Vorteil an Bébé wiederum ist, dass man ihn einfach ins Bett stecken kann, wo er sogleich den (linken!) Daumen in den Mund steckt, zufrieden nuckelnd einschläft und am nächsten Morgen als lupenreiner Demokrat erwacht. Neugierig, aufgeschlossen, tatkräftig und überaus lernwillig.

Wie sich diese Vorgehensweise auf den Front National übertragen ließe, ist mir noch nicht klar. Konstruktive Vorschläge sind willkommen, möglicherweise würden sie auch meinen Ehemann dazu bewegen, wieder ans Tageslicht (und zu mir) zurückzukehren. Herzlichen Dank.

2 thoughts on “Frankreich ist keine Insel

  1. Liebe Helen,
    vielleicht sollte Bebé eine Präsidentschaftskandidatur in La France anstreben, und zwar möglichst rasch. Ach, am besten gleich für ganz Europa! Bebé, je vote pour toi!!!!
    Bisous B.

  2. Liebe Helen,
    vielleicht könnte man – wie bébé, da unter 7 Jahren (?) – den FN-Wählern die Geschäftsfähigkeit absprechen…? Das könnte funktionieren 😉

    Lg gerade aus Lissabon, Urs

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